Migrationsgipfel: Ein Wachstumsprogramm für die AfD

Seit Wochen überbieten sich die Regierungs- und Oppositionsparteien gegenseitig mit Vorschlägen, wie Flüchtlinge zurückgewiesen, die Grenzen abgeschottet und das Grundrecht auf Asyl ausgehebelt werden können. Das erreichte mit dem zweiten Migrationsgipfel am vergangenen Dienstag einen neuen Höhepunkt. Der Gipfel war ein Wachstumsprogramm für die rechtsextreme AfD.

Bundeskanzler Olaf Scholz beim ZDF-Sommerinterview am 8. September [Photo by Bundesregierung/Steffen Kugler]

Wie beim ersten Gipfel vor einer Woche hatte die Bundesregierung neben Vertretern der Länder auch solche von CDU und CSU eingeladen, um über gemeinsame Schritte zu beraten. Zuvor hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, der das Regime an den Grenzen drastisch verschärft.

So sollen Flüchtlinge, für deren Asylantrag nach den Dublin-Regeln ein anderer europäischer Staat zuständig ist – und das sind wegen der Binnenlage Deutschlands fast alle –, bis zu ihrer Abschiebung in Haft genommen und beschleunigt abgeschoben werden. Grenzkontrollen, Grenzpolizei und Haftanstalten sollen zu diesem Zweck ausgebaut werden.

Doch der CDU und der CSU ging das nicht weit genug. Die Unionsparteien forderten die unmittelbare Zurückweisung aller Flüchtlinge, die über keine legalen Einreisepapiere verfügen, selbst wenn sie Asyl beantragen, was gegen geltendes europäisches und internationales Recht verstößt und zu heftigen Spannungen innerhalb der EU führen würde. Polen und Österreich, über die viele Flüchtlinge aus der Ukraine und – über die Balkanroute – aus dem Nahen Osten nach Deutschland fliehen, haben bereits heftig protestiert.

Doch die Befürworter der völligen Abschottung der Grenzen rechnen mit einem Dominoeffekt, bei dem auch diese Länder und schließlich Griechenland, Italien sowie andere Staaten an der Peripherie der EU ihre Grenzen hermetisch abschotten würden. Nachdem bereits in den letzten zehn Jahren 30.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, hätte dies einen dramatischen Anstieg der Opferzahlen zur Folge.

Nach zwei Stunden ließen dann CDU und CSU den Gipfel demonstrativ platzen und verließen das Treffen. „Im Gespräch wurde recht schnell klar, dass für Zurückweisungen an deutschen Binnengrenzen der politische Wille in der Ampelkoalition fehlt“, behaupteten sie. CDU-Chef Friedrich Merz schrieb auf der Plattform X: „Die Ampel kapituliert vor den Herausforderungen der irregulären Migration. Die Bundesregierung ist handlungsunfähig und führungslos.“

Die Regierungsparteien ihrerseits beschuldigen die Union, sich in die Büsche zu schlagen, statt Verantwortung zu übernehmen. „Sprüche klopfen, nichts hingekriegt“, warf ihr Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestags vor. Die Bürger wollten keine Theateraufführungen erleben, es wäre gut gewesen, in der Migrationsfrage zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, rief der Kanzler. Seine Regierung habe die „größte Wende im Umgang mit irregulärer Migration“ vollbracht. „Nicht motzen, sondern handeln und anpacken. Das ist die Devise.“

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai machte deutlich, dass die Ampel-Koalition zu allem bereit ist, um mit der Union zu einer Einigung zu gelangen. Es gebe keinen Grund für das Scheitern des Gipfels, betonte er: „Schließlich wurde der Union angeboten, dass ihre Vorschläge zur Zurückweisung von Asylbewerbern eins zu eins umgesetzt werden.“

FDP-Chef Christian Lindner schrieb auf X: „Die Absage der Union an den Asylgipfel darf nicht das letzte Wort sein.“ Er schlug vor, dass CDU-Chef Merz, Bundeskanzler Scholz, der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck und er selbst sich persönlich zusammensetzen, um „gemeinsam das Problem zu lösen“. Deutschland brauche Kontrolle und Konsequenz bei der Migration.

Sahra Wagenknecht, Chefin der nach ihr benannten Partei, griff den Gipfel von rechts an. „Das war offenbar kein Migrationsgipfel, sondern ein Gipfeltreffen der Arbeitsverweigerer, eine asylpolitische Bankrotterklärung“, erklärte sie.

Im Springer-Blatt Die Welt warf Wagenknecht Scholz und seiner Vorgängerin Angela Merkel vor, sie hätten „Deutschland zum Flüchtlingsmagneten in Europa gemacht“. Die Anreize seien zu hoch: „Wer es zu uns schafft, bekommt faktisch unbegrenztes Bleiberecht und Anspruch auf soziale Leistungen.“ Das müsse beendet werden. Es brauche „eine drastische Asylwende: Wer aus einem sicheren Drittstaat kommt, darf weder Anspruch auf ein Verfahren noch auf Leistungen haben.“

Diese permanente Hetze gegen Flüchtlinge ist Wasser auf die Mühlen der AfD.

In einer Presserklärung schrieb AfD-Bundessprecherin Alice Weidel, das Scheitern des Migrationsgipfels „dürfte auch dem letzten Bürger klarmachen, dass die Altparteien nicht willens und in der Lage sind, die Migrationskrise zu lösen“. Dies sei „nur durch lückenlose Grenzkontrollen und eine konsequente Zurückweisung illegaler Migranten“ möglich. Als Regierungspartei habe die Union dabei kläglich versagt. Um diesen Fehler wiedergutzumachen, müsse „sie sich Regierungspartner suchen, mit denen sie solche Forderungen auch umsetzen kann“, also die AfD.

Nachdem die AfD am 1. September in Thüringen die Landtagswahl gewann und in Sachsen zweitstärkste Partei wurde, rechnet sie am 22. September auch in Brandenburg mit einem Wahlerfolg. In den Umfragen liegt sie mit 29 Prozent weit vor der SPD mit 22 und der CDU mit 17 Prozent. Wagenknechts BSW kommt auf 15 Prozent, während die Grünen um den Wiedereinzug in den Landtag fürchten müssen und Die Linke und die FDP deutlich unter der Fünf-Prozent-Marke liegen.

Der Aufstieg der AfD ist das Ergebnis der Rechtswende der gesamten bürgerlichen Politik. Flüchtlinge, die sich vor den Kriegen in Sicherheit bringen, welche die Nato im Nahen Osten und in der Ukraine angezettelt hat, werden zum Sündenbock für die wachsende soziale Krise – für teure Wohnungen, fehlende Kitaplätze, Lehrermangel und niedrige Löhne – gestempelt, für die in Wirklichkeit die Milliardenprofite der Reichen und die gigantischen Ausgaben für Krieg und Aufrüstung verantwortlich sind. Waren es unter den Nazis die Juden, die als Blitzableiter für soziale Empörung herhalten mussten, sind es heute Migranten.

Die etablierten Parteien – von der Union über die SPD und die Grünen bis zur Linken und dem BSW – übernehmen die Politik der AfD und bahnen den Faschisten den Weg, weil der Widerstand gegen ihre Kriegspolitik in der Ukraine und in Palästina zunimmt und gewaltige Klassenkämpfe bevorstehen.

Die Ansage von Werksschließungen und betriebsbedingten Entlassungen durch den VW-Konzern kündigt die Vernichtung von hunderttausenden regulären Arbeitsplätzen in der gesamten Autoindustrie sowie der Stahl-, Chemie- und Bauindustrie an. Deshalb werden die Faschisten gestärkt und der Polizei- und Überwachungsapparat unter dem Vorwand der Terrorabwehr und Flüchtlingsbekämpfung aufgerüstet.

Arbeiterinnen, Arbeiter und Jugendliche müssen Flüchtlinge und ihr Recht auf Asyl verteidigen. Das ist nicht nur eine elementare Frage der Humanität, sondern auch in ihrem ureigenen Interesse. Die Zerschlagung demokratischer Rechte und der Aufbau eines Polizeistaats, der mit der Abwehr von Migranten gerechtfertigt wird, richtet sich auch gegen streikende Arbeiter, Kriegsgegner und Sozialisten.

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