Perspektive

Massenproteste gegen rechtsextreme Regierung in Israel: Vorboten revolutionärer Kämpfe

Die Massenproteste vom letzten Samstag in Tel Aviv markieren eine bedeutende Veränderung im politischen Leben Israels, des Nahen Ostens und der Welt.

Nur zwei Wochen nach der Wahl der rechtesten Koalitionsregierung in der Geschichte des Landes, die durchsetzt ist von Rassisten und regelrechten Faschisten, versammelten sich rund 100 000 Menschen auf dem Habima-Platz. Dort protestierten sie gegen die Pläne des neuen Regimes, die direkte politische Kontrolle über die Justiz auszuüben. Weitere Tausende protestierten in Jerusalem vor dem Haus von Premierminister Benjamin Netanjahu sowie in Haifa und Rosch Pina.

Die von Justizminister Yariv Levin angekündigte Gesetzgebung soll die Möglichkeiten des Obersten Gerichtshofs einschränken, Gesetze zu kippen. Sie soll es dem Parlament außerdem ermöglichen, solche Entscheidungen des Gerichtes außer Kraft zu setzen. Die Regierung würde darüber hinaus die Kontrolle über die Ernennung von Richtern übernehmen sowie den Posten des Generalstaatsanwalts abschaffen. Dies würde es Netanjahu ermöglichen, seinen eigenen Staatsanwalt zu ernennen und so seine persönliche strafrechtliche Verfolgung wegen Korruptionsvorwürfen zu verhindern. Noch wichtiger ist, dass die Vorhaben der neuen Regierung die Pläne für einen verstärkten Siedlungsbau erleichtern würden, der zur Vorbereitung der Annexion eines großen Teils des Westjordanlands dient.

Demonstration vom 14. Januar 2023 in Tel Aviv gegen die Pläne der israelischen Regierung, das Rechtssystem des Landes grundlegend zu ändern [AP Photo/Oded Balilty]

Der Widerstand gegen die neue Regierung geht jedoch weit über diese Frage hinaus. Zu Netanjahus Koalition gehören seine eigene Likud-Partei, die faschistischen und rassistischen Parteien „Religiöser Zionismus“, „Jüdische Stärke“ und Noam sowie die rechtsgerichteten religiösen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum. Die neue Regierung steht für jüdische Vorherrschaft und Apartheid, die dauerhafte Beschlagnahmung der palästinensischen Gebiete, jüdische Gebete in der al-Aqsa-Moschee, die Rücknahme von Antidiskriminierungsmaßnahmen durch weitreichende Änderungen des israelischen Rechtssystems sowie die verstärkte Unterdrückung der Palästinenser und der jüdischen und palästinensischen Arbeiter in Israel durch Polizei und Militär.

Der neue Finanzminister Bezalel Smotrich vom „Religiösen Zionismus“ hat bewiesenermaßen erklärt, er sei „ein faschistischer Homophobiker.“ Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Beschlagnahme von 40 Millionen Dollar an Steuereinnahmen, die Israel für die Palästinensische Autonomiebehörde eingezogen hatte. Der neue Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir von der „Jüdischen Stärke“, stattete der sensibelsten religiösen Stätte der Muslime in Jerusalem, dem Al-Aqsa-Gelände, sofort einen bewusst provokativen Besuch ab.

Die Machtübernahme durch solche politischen Kriminellen und Provokateure hat den Zorn der Massen geweckt. Auf selbstgebastelten Plakaten warnten sie vor „Faschismus“, einem „Staatsstreich“, einer „kriminellen Regierung“ und dem „Ende der Demokratie.“ Juden und israelische Araber trugen gemeinsam palästinensische Flaggen, obwohl Ben-Gvir die Polizei aufgefordert hatte, hart durchzugreifen.

Dies deutet auf das mögliche Entstehen einer neuen Achse des Kampfes hin, die die sorgfältig gepflegten Spaltungen zwischen arabischen und jüdischen Arbeitern überwinden könnte.

Viele Medienberichte versuchten ein Gefühl der Sicherheit zu suggerieren und erklärten, bei den Protesten sei hauptsächlich die säkulare israelische Mittelschicht mobilisiert und von den zahmen Oppositionsparteien angeführt worden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Die neue Regierung verwickelt Israel in die schwärzesten Formen der politischen Reaktion, einschließlich des Krieges gegen die Palästinenser. Sie tut dies unter Bedingungen, in denen Israel ein soziales und politisches Pulverfass ist. Der gesamte Nahe Osten ist darüber hinaus durch die sich verschärfende Weltwirtschaftskrise, die Pandemie und die Kriegspläne der USA gegen den Iran destabilisiert. Die USA versuchen, den Krieg in der Ukraine zu offenen Feindseligkeiten gegen den Iran, Russlands regionalen Verbündeten, auszuweiten, wobei Israel die Rolle des obersten Kampfhundes einnimmt.

Auf der Kundgebung in Tel Aviv sprachen Persönlichkeiten wie der ehemalige Verteidigungsminister Benny Ganz, die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Ajala Procaccia, die ehemalige Justizministerin Tzipi Livni, die Vorsitzende der Arbeitspartei Merav Michaeli und der Vorsitzende der arabischen Ra'am-Partei Mansour Abbas. Aber diese Figuren, die mit der vorherigen „Regierung des Wandels“ in Verbindung gebracht werden, sind alle durch die Umsetzung einer rechten Agenda von Sparmaßnahmen und Krieg massiv diskreditiert. Dies veranlasste den Haaretz-Kolumnisten Anshel Pfeffer zu der Warnung, dass „dieser Protest noch keinen Anführer hat... Die Wut gegen die neue Regierung muss noch wachsen, aber auf dem Platz war von den Anführern und Aktivisten der linken Gruppen viel Groll zu hören...“

Yaakov Katz warnte in der Jerusalem Post die Opposition vor der Gefahr, einen Bürgerkrieg zu provozieren. Er schreibt: „Das Gerede über einen Bürgerkrieg ist gefährlich. Israel steht am Vorabend seines 75. Jahrestages, und der Gedanke, dass dieses jüngste Experiment jüdischer Souveränität seit Tausenden von Jahren aufgrund interner Unstimmigkeiten gefährdet sein könnte, sollte uns alle in unseren Grundfesten erschüttern.“

Und weiter: „Ja, die aufgeworfenen Fragen sind bedeutsam, und die Folgen sind potenziell schlimm. Aber wir dürfen diesen Staat nicht als selbstverständlich ansehen. Wir müssen ihn schützen, und ja, wir müssen auch für ihn kämpfen.“

Angesichts des Ernstes der Lage haben pro-imperialistische Kommentatoren zu einer Art Intervention der USA und der europäischen Mächte aufgerufen, um Netanjahu zu bremsen. Thomas L. Friedman appellierte in der New York Timesvom 17. Januar an US-Präsident Joe Biden: „Sie sind vielleicht der Einzige, der Premierminister Benjamin Netanjahu und seine extremistische Koalition davon abhalten kann, Israel in eine illiberale Bastion des Fanatismus zu verwandeln“, und fügte hinzu: „Ich befürchte, dass Israel auf ernsthafte innere Unruhen zusteuert.“

Dies, so erklärte er, „hat direkte Auswirkungen auf die nationalen Sicherheitsinteressen der USA. Ich mache mir keine Illusionen, dass Biden die extremsten Tendenzen, die sich heute in Israel abzeichnen, umkehren könnte, aber er kann die Dinge auf einen gesünderen Weg bringen und vielleicht das Schlimmste verhindern, und zwar auf eine Art und Weise, wie es kein anderer Außenstehender kann.“

Simon Tisdall, der aus ähnlichen Motiven im Guardianschrieb, warnte: „Indem sie die Unterstützung der westlichen Öffentlichkeit für den Staat Israel gefährden, seine Demokratie untergraben und seine Allianzen durcheinander bringen, erweisen sich Netanjahu und seine hasserfüllten Kumpane als die schlimmsten Feinde ihres Landes.“ Doch auch Tisdall war gezwungen, die Realität anzuerkennen, dass Netanjahu seine Offensive nur fortsetzen kann, weil „die Reaktion der westlichen Verbündeten Israels auf diese alarmierende, destabilisierende Entwicklung seltsam zurückhaltend war...“

Er stellte fest, dass „die USA sich bisher vor offener Kritik gedrückt haben“, ein „beschämend stummer Ansatz“, der auch von der Europäischen Union und Großbritannien verfolgt wird. Hinzu kommt, dass die autoritären arabischen Regime der Region zu offen freundschaftlichen Beziehungen mit Israel übergehen.

Die Imperialisten und die Regionalmächte des Nahen Ostens stehen vereint gegen jede Herausforderung der israelischen Regierung, weil sie alle selbst in der Krise stecken. Sie alle müssen die wachsende soziale und politische Opposition gegen ihre gemeinsame Agenda unterdrücken, die auf eine immer groteskere Bereicherung der Finanzoligarchie auf Kosten der Arbeiter und der unterdrückten Massen sowie auf imperialistische Eroberungskriege und globale Hegemonie gegen Russland, China und kleinere Regime wie Iran und Syrien abzielt.

Der Ausbruch der Massenopposition in Israel fällt beispielsweise mit der Verurteilung von 38 Menschen zu lebenslanger Haft durch das Al-Sisi-Regime in Ägypten zusammen, die sich an den Protesten gegen die Regierung im Jahr 2019 beteiligt hatten, während die Wirtschaft fast zusammenbrach und die soziale Unzufriedenheit zunahm. Das Urteil folgte auf die monatelangen Proteste gegen die Regierung im Iran.

Die Massenproteste in Israel werden das politische Klima in der ganzen Welt verändern – genau wie der gescheiterte Arabische Frühling im Jahr 2011.

Die Anprangerung Netanjahus und seiner faschistischen Verbündeten durch Zehntausende israelischer Demonstranten hat die weltweite Kampagne, die Gegner der israelischen Unterdrückung der Palästinenser als Antisemiten verleumdet und verfolgt, Lügen gestraft. Es ist eine schmutzige Lüge, die dazu geführt hat, dass Tausende aus der britischen Labour-Partei ausgeschlossen und zahlreiche Akademiker, Künstler und politische Aktivisten in den USA und Europa schikaniert worden sind. Wenn sie „Antisemiten“ sind, dann sind das auch Hunderttausende von Israels eigenen Bürgern!

Umgekehrt sind die Proteste eine starke Widerlegung des zentralen Grundsatzes der BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestition und Sanktionen), die alle Israelis so behandelt, als seien sie für die Verbrechen ihrer Regierung mitverantwortlich.

Das zionistische Projekt der Errichtung eines jüdischen Staates durch die gewaltsame Enteignung der arabischen Bevölkerung hat unweigerlich zur Schaffung eines Apartheidregimes geführt, das auf Massenunterdrückung beruht.

Die Ereignisse in Tel Aviv sind der Vorbote eines neuen Aufstandes der Arbeiterklasse, nicht nur gegen diesen Staat, sondern in der gesamten Region und international. Sie bestätigt die von der Vierten Internationale historisch erkämpfte und heute vom Internationalen Komitee geführte Perspektive, jüdische und arabische Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf zu vereinen, zum Sturz des zionistischen Staates und der arabischen bürgerlichen Regime durch den Aufbau Vereinigter Sozialistischer Staaten des Nahen Ostens.

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