Nein zum Verbot der Palästina Solidarität Duisburg! Stoppt den Polizeistaat!

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) verurteilt das Verbot der Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) durch den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul am 16. Mai 2024 auf das Schärfste. Die extrem weitgehende Verbotsverfügung kriminalisiert jede Kritik am israelischen Völkermord in Gaza und an der Kriegspolitik der Regierung. Sie ist die Blaupause für einen Polizeistaat und knüpft an die Unterdrückungsmethoden des Kaiserreichs und der Nazi-Diktatur an.

Teilnehmer der DGB-Demo am 1. Mai in Duisburg, darunter auch Mitglieder der jetzt verbotenen Gruppe "Palästina Solidarität Duisburg"

Das Verbot wird von einer breiten Koalition getragen. Während Reul der CDU angehört, geht Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD ebenso rücksichtslos gegen abweichende Meinungen vor. Und die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, Christina Kampmann, hat das Verbot in höchsten Tönen gelobt.

Die Palästina Solidarität Duisburg wurde verboten, obwohl ihr keinerlei strafbare Handlungen vorgeworfen werden. Sie wurde kriminalisiert, weil sie sich in ihrer Haltung zu Israel nicht der deutschen Staatsräson unterwarf und – friedlich und in Worten – gegen die Ermordung der Palästinenser im Gaza-Streifen protestierte.

Selbst Standpunkte, die von der Mehrheit der UN-Mitglieder oder vom Internationalen Gerichtshof geteilt werden, führt das NRW-Innenministerium als Verbotsgründe an, obwohl Deutschland die Rechtsprechung des höchsten UN-Gerichts offiziell anerkennt. Deutlicher könnte das Ministerium nicht zeigen, dass das Verbot ein Akt staatlicher Willkür, der Zensur und der Unterdrückung ist.

Als der Inlandsgeheimdienst die Sozialistische Gleichheitspartei 2019 als angeblich „linksextremistische“ Partei in den Verfassungsschutzbericht aufnahm, warnte die SGP, damit werde der Boden dafür bereitet, „Buchhändler, die marxistische Literatur verbreiten, Arbeiter, die für höhere Löhne streiken, oder Friedensaktivisten mit einem Federstrich“ zu kriminalisieren. Das wird nun durch das Verbot der Palästina Solidarität Duisburg bestätigt.

Der falsche Vorwurf des Antisemitismus

Die Verbotsverfügung des Innenministeriums stützt sich auf die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die Kritik am israelischen Staat und seiner ideologischen Grundlage, dem Zionismus, als Antisemitismus einstuft. So heißt es in der Verfügung: „Der Begriff ‚zionistisch‘ kann vorliegend als Chiffre für ‚die Juden‘ verstanden werden.“ Die „despektierliche und feindselige Verwendung des Begriffs ‚Zionismus/zionistisch‘ durch PSDU und dessen Funktionäre“ stelle „ein antisemitisches Narrativ“ dar. Auch das „Narrativ“, das „die Verantwortung für den Nahost-Konflikt einseitig dem Staat Israel zuweist“, sei antisemitisch.

Die IHRA-Definition wird von zahlreichen Experten und Wissenschaftlern zurückgewiesen. So hatten 2021 200 bekannte Holocaustforscher aus Israel, den USA und Europa in einer „Jerusalemer Erklärung“ eine andere Definition vorgeschlagen, die Kritik am Zionismus und Boykottaufrufe gegen Israel ausdrücklich vom Vorwurf des Antisemitismus ausnimmt. Im Dezember letzten Jahres kritisierten 14 prominente deutsche Juristen die IHRA-Definition in einer Stellungnahme für den Bundestag, weil sie zu „weitreichenden verfassungsrechtlichen Verwerfungen“, „ganz unvorhersehbaren“ Folgen für die Behördenpraxis sowie erwartbaren Verstößen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung führe.

Doch Innenminister Reul lässt sich von solchen wissenschaftlich und juristisch fundierten Gutachten nicht beeindrucken. In der Verbotsverfügung wimmelt es von unhaltbaren und teilweise absurden Anschuldigungen. So wenn behauptet wird, die Bezeichnung Israels als „Apartheidstaat“ stelle es „auf eine Stufe“ mit „geschichtlich nachweislich belegten Unrechtsstaaten/-regimen, in denen es zur Unterdrückung und Entrechtung einzelner Bevölkerungsgruppen gekommen ist“. Dies sei eine „unbelegte und pauschalisierende Behauptung“, die ebenfalls die Antisemitismus-Definition der IHRA erfülle.

Inzwischen hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in einem Rechtsgutachten ausdrücklich bestätigt, dass Israel die Palästinensergebiete illegal besetzt und dort eine Politik der Apartheid verfolgt. Israel verstoße nicht nur gegen das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, sondern auch gegen das Gewaltverbot und Art. 3 der Rassendiskriminierungskonvention, die rassische Segregation und Apartheid verbietet, heißt es in dem Gutachten.

Aber auch innerhalb Israels selbst ist Apartheid inzwischen gesetzliche Norm. Das 2018 verabschiedete Nationalstaatsgesetz, das für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein „Schlüsselmoment in der Geschichte des Zionismus und des Staates Israel“ ist, degradiert die arabischen Israelis zu Bürgern zweiter Klasse und schreibt Menschenrechtsverletzungen grundgesetzlich fest. Israel sei der „Nationalstaat des jüdischen Volkes“, heißt es im ersten von elf Artikeln. Das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist einzig Menschen jüdischen Glaubens vorbehalten.

Amnesty International und Oxfam beschuldigen Israel deshalb offen der Apartheid. Werden Reul und Faeser diese Menschenrechtsorganisationen deshalb demnächst auch verbieten?

Das Existenzrecht Israels als deutsche Staatsräson

Die Bundesregierung hat die Verteidigung des „Existenzrechts Israels“ spätestens 2008 zur „deutschen Staatsräson“ erklärt. Sie versteht darunter die Verteidigung des Staats Israels in seiner jetzigen Form, als bis an die Zähne bewaffnete militärische Bastion, die ihre Nachbarn einschüchtert und die Palästinenser unterdrückt und – wie seit dem 7. Oktober in Gaza – ausrottet. Jeder, der sich diesem Standpunkt widersetzt und für einen demokratischeren, säkulareren und friedlicheren Staat in Palästina einsetzt, darunter auch zahlreiche Juden, wird als „Antisemit“ diffamiert.

Diese Haltung hat nichts mit dem Schutz jüdischen Lebens und Wiedergutmachung für den Holocaust zu tun. Deutschland nutzt Israel – wie die USA und andere europäische Staaten – als Brückenkopf für seine imperialistischen Interessen im Nahen Osten, mit dessen Hilfe sie die gesamte Region bedrohen und einschüchtern. Deshalb finanzieren Washington und Berlin Israel mit Milliardensummen, rüsten es auf und unterstützen den Völkermord an den Palästinensern. Sollte Berlin einen verlässlicheren Verbündeten in der Region finden, wäre die „Staatsräson“ über Nacht vergessen.

Diese Haltung spiegelt sich auch in der Verbotsverfügung wider. Das Eintreten der Palästina Solidarität Duisburg für einen Staat, der „allen Bürgern ungeachtet von Religion, Ethnie etc. die gleichen Rechte zugesteht“, bezeichnet das Innenministerium kurzerhand als „wenig glaubwürdig“. Vielmehr sei die Ein-Staaten-Lösung unter der „Parole ‚FromTheRiverToTheSea‘ ein Beleg für die antiisraelische Haltung des Vereins“.

Der „unbelegte Völkermord“

Es ist bemerkenswert, mit welcher Unverfrorenheit das Innenministerium lügt. Die Verbotsverfügung spricht vom „unbelegten Völkermord“, obwohl die israelische Armee inzwischen große Teile des Gaza-Streifens zerstört und einer Schätzung der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet zufolge 186.000 Menschen umgebracht hat.

Der Internationale Gerichtshof hält die Klage Südafrikas, die Israel des Völkermords bezichtigt, für „plausibel“, und der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hat gegen Premier Benjamin Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Joaw Gallant einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt. Doch in Deutschland führt die bloße Äußerung dieser Anklagen zum Verbot und Konfiskation des Vermögens.

Auch die Geschichte des Palästina-Konflikts wird von den Zensoren im NRW-Innenministerium völlig ignoriert. Dieser begann nicht am 7. Oktober 2023 sondern mit der gewaltsamen Vertreibung von über 700.000 Palästinensern anlässlich der Gründung des Staates Israel 1948. Seither befindet sich Israel im direkten oder indirekten Krieg gegen die arabische Bevölkerung und gegen seine Anrainerstaaten.

Dass Israel den Angriff der Hamas vom 7. Oktober, den es durch den Abzug aller Sicherheitskräfte bewusst geschehen ließ, für einen Völkermord nutzen würde, war innerhalb weniger Tage klar.

Schon nach drei Wochen trat der Leiter der New Yorker Vertretung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Craig Mokhiber, aus Protest gegen das „totale Versagen“ der Vereinten Nationen beim Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung von seinem Amt zurück. In einem offenen Brief an die UN schrieb er: „Dies ist ein Fall von Völkermord wie aus dem Lehrbuch.“ Dies hat sich seitdem Woche für Woche, Monat für Monat bestätigt.

Der palästinensische Widerstand

Die Verbotsverfügung setzt Protest gegen die Verbrechen Israels und seiner Armee und die Bezeichnung des palästinensischen Widerstands dagegen als „legitim“ mit der Unterstützung der Hamas und damit mit der Unterstützung von Terror gleich.

Wie weit das Innenministerium dabei geht, belegt folgendes Zitat: „Der Verein hat am 19. Oktober 2023 auf seiner Facebook-Seite einen Beitrag … veröffentlicht. Hierin wird der palästinensische Widerstand als ‚legitim‘ bezeichnet. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum terroristischen Angriff der Hamas auf den Staat Israel ist hiermit insbesondere der gewalttätige Widerstand gemeint.“

Die Gleichung, die die Verfasser der Verbotsverfügung aufmachen, ist simpel: Wer sich israelischer – und allgemein imperialistischer – Gewalt widersetzt, leistet terroristischen Widerstand. Wer die Gegenwehr von Unterdrückten als „legitim“ bezeichnet, ist Terrorunterstützer.

„Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung“

Offenbar ahnend, auf welch schwachen faktischen Beinen die Verbotsverfügung steht, bemüht das Innenministerium auch den angeblichen „Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ seitens der PSDU. Im Artikel 9 des Grundgesetzes, in dem das Recht benannt ist, Vereine und Gesellschaften zu bilden, wird dies als ein Grund nachgeschoben, dieses Recht wieder außer Kraft zu setzen.

Diese Begründung hatte in der Vergangenheit schon in die Verbote der kurdischen PKK und zuletzt der Hamas sowie der Vereinigung Samidoun Einzug gehalten. Bei der PSDU sah sich das Innenministerium nicht in der Lage, eine tatsächliche Verbindung zur Hamas oder einer anderen als terroristisch bezeichneten Widerstandsgruppe zu unterstellen. Das Verbot stützt sich in dieser Frage einzig und allein auf die angebliche „geistige Unterstützung“ der Hamas: „Insbesondere die geistige Unterstützung der Hamas beeinträchtigt das friedliche Miteinander der Völker.“

Dabei nimmt es das Innenministerium bewusst nicht so genau. Denn die PSDU hat die Hamas – und noch weniger Terroranschläge – nirgendwo ausdrücklich inhaltlich oder politisch verteidigt. Sie verteidigt den „Widerstand in all seinen Formen“, auch den bewaffneten Kampf gegen die israelische Armee.

Die PSDU selbst habe sich als „Solidaritätsnetzwerk“ verstanden, attestiert die Verbotsverfügung. Es sei aber „irrelevant“, ob der Verein seine Handlungsweise als völkerverständigungswidrig nachvollzogen oder geglaubt habe, aus „höheren rechtlichen, politischen, religiösen oder moralischen Gründen“ zu handeln. „Derartige Überzeugungen“ entlasten nicht, „sondern sind lediglich Ausdruck einer von den verfassungsmäßigen Vorgaben abweichenden Denkweise“.

Zum Schluss wird das Verbot mit der Gefahr begründet, „dass aus Worten binnen kurzer Zeit Taten werden“ können. Einzelne könnten die Äußerungen der PSDU zum Anlass nehmen, Gewalttaten gegen „Jüdinnen und Juden und/oder israelische Bürger und Bürgerinnen“ zu verüben. „Dies haben die Radikalisierungsbiografien der vergangenen Jahre gezeigt, zum Beispiel der Amoklauf an einer Synagoge in Halle im Jahr 2019.“

So wird die PSDU, die sich stets klar und ausdrücklich gegen Antisemitismus gestellt hat, für zukünftige Gewalttaten rechtsextremer Judenhasser verantwortlich gemacht.

Folgen des Verbots

Das Verbot der Palästina Solidarität Duisburg zeigt erneut, wie dünn die demokratische Fassade über dem autoritären Kern des deutschen Staatsapparats ist. Das Verbot ist nur das letzte Glied in einer ganzen Kette von Einschüchterungs-, Repressions- und Verbotsmaßnahmen gegen alle, die nicht mit der offiziellen Staatsräson konform gehen.

Palästinademonstrationen werden untersagt, schikaniert und mit kafkaesken Zensurvorschriften überzogen, Künstler, die sich kritisch äußern, sanktioniert. Selbst Wissenschaftler müssen um ihre Finanzierung fürchten, wenn sie allzu offen ihre Meinung sagen.

Der Verfassungsschutz, eine demokratisch nicht legitimierte Behörde, die acht Jahre lang vom Rechtsextremen Hans-Georg Maaßen geleitet wurde und immer mehr der ehemaligen Stasi der DDR gleicht, bespitzelt Oppositionelle und schwingt sich zur politischen Inquisition auf.

Laut Innenminister Reul soll der Verfassungsschutz den Anstoß zum Verbot der PSDU gegeben haben und Betroffene vermuten, dass er auch die Verbotsverfügung formuliert hat. Allein eine Nennung im Verfassungsschutzbericht genügt, um einer Organisation den Zugang zu öffentlichen Räumen, zu Unterstützern oder zu Bankkonten zu erschweren.

Die Unterstützung Israels und seines Genozids in Gaza ist nur der oberflächliche Grund für diese wachsende Repression. Die tieferen Gründe sind die jahrzehntelange soziale Polarisierung, das Anwachsen von Armut auf der einen und unermesslichem Reichtum auf der anderen Seite, die Rückkehr zu Militarismus und Krieg und die wachsende Opposition dagegen.

Die Herrschenden fürchten eine soziale Explosion. Je mehr sie an Unterstützung verlieren – die Europawahl war für alle drei Ampel-Parteien ein Desaster – desto offener setzen sie auf staatliche Repression. Die SPD, die Grünen und die FDP, die sich früher noch als Verteidiger der Demokratie ausgaben, sind dabei zu den übelsten Scharfmachern geworden.

Dabei verbieten sie hin und wieder auch eine rechtsextreme Formation, wie das Compact-Magazin. Doch das wird die Rechtsextremen nicht aufhalten, im Gegenteil. Die etablierten Parteien haben in der Flüchtlingspolitik, der inneren Aufrüstung und der Militarisierung längst das Programm der extremen Rechten übernommen. Solche Verbote schaffen juristische Präzedenzfälle, um umso schärfer gegen linke Organisationen vorzugehen.

Die Rechtswende der bürgerlichen Politik, der Übergang zu immer offeneren Formen der Repression, ist ein internationales Phänomen. Trump in den USA, Meloni in Italien, Le Pen in Frankreich sind Ausdruck davon. Und überall reagieren alle anderen etablierten Parteien, indem sie selbst weiter nach rechts rücken.

Der Grund dafür ist die fortgeschrittene Krise des kapitalistischen Profitsystems, auf die die Herrschenden keine andere Antwort haben als Krieg, verschärfte Ausbeutung und Diktatur. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend, die den Kampf gegen soziale Ungleichheit, Krieg und Diktatur mit dem Kampf gegen ihre Ursache, den Kapitalismus, verbindet kann diese Spirale des Niedergangs stoppen.

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