Vor den Bundestagswahlen häufen sich Artikel in den bürgerlichen Medien, die die Linkspartei promoten und versuchen, ihre Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek zu einer neuen linken Galionsfigur zu stilisieren. Sie habe es „zu einiger Berühmtheit gebracht“, sei „der Internetpromi ihrer Partei“, „eine Linkeninfluencerin“ und „inzwischen so etwas wie ein Star“, schreibt der Spiegel in einem Artikel zum „Hype um Heidi“.
Die Süddeutsche Zeitung leitet ein aktuelles Interview mit Reichinnek mit den Worten ein: „Es gibt Politikerinnen, die haben Wähler. Heidi Reichinnek hat Fans.“ Und selbst die traditionell rechte Presse veröffentlicht regelrechte Werbeartikel über „Heidi“ und den Wahlkampf der Linken. „Heidi und Jan [van Aken – der Linksparteivorsitzende und zweite Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf] gegen ‚die da oben‘“ lautet der Titel eines Artikels in der FAZ vom Montag. Zuvor erschien im Sprachrohr der Frankfurter Börse bereits ein Bericht unter der Überschrift: „Partei im Aufwind: Auf Tiktok hat die Linke Merz abgehängt.“
Der Grund für die Propagandaoffensive ist nicht schwer zu verstehen. Die herrschende Klasse reagiert auf die Massenproteste gegen die offene Zusammenarbeit von CDU, FDP und BSW mit der faschistischen AfD und die rechte und flüchtlingsfeindliche Politik von SPD und Grünen mit Nervosität. Sie befürchtet, dass die Opposition gegen Faschismus und Krieg und die ständigen Angriffe auf demokratische und soziale Rechte weiter wächst und unabhängige Formen annimmt.
Um dies zu verhindern, brauchen die Herrschenden Die Linke. Eine Partei, deren Vorläuferin SED/PDS als frühere stalinistische Staatspartei der DDR mit der Unterdrückung der Arbeiterklasse und der anschließenden Wiedereinführung des Kapitalismus assoziiert ist. Und eine Partei, die aufgrund dieser Geschichte und ihrer rechten, pro-kapitalistischen Politik seitdem unter Arbeitern und Jugendlichen eigentlich verhasst ist.
Bei der letzten Bundestagswahl 2021 verlor Die Linke mehr als zwei Millionen Wähler. Sie erhielt nur noch 4,9 Prozent der Stimmen und damit 4,3 Prozent weniger als 2017. Anders als von den Medien suggeriert, gewinnt die Linkspartei aktuell keine neue Massenanhängerschaft, sondern liegt den jüngsten Umfragen zu Folge bei lediglich fünf oder sechs Prozent und damit nur knapp über ihrem Wert vor vier Jahren.
Dass einige von Reichinneks Videos und Reden in den sozialen Medien dennoch viral gehen, ist ohne Zweifel mit der wachsenden Opposition gegen die faschistische Gefahr gerade unter jungen Wählern verbunden. Doch diejenigen, die ernsthaft dagegen kämpfen wollen, finden bei Reichinnek keine gangbare Perspektive, sondern lediglich moralische Empörung gepaart mit ein paar radikal klingenden Phrasen.
Politisch verbirgt sich hinter Reichinneks lautstark vorgetragenen Aufrufen („Wir alle werden auf die Straße gehen“ oder „Auf die Barrikaden!“) eine Orientierung auf die Parteien, die für den Aufstieg der Faschisten verantwortlich sind.
In ihrer viel zitierten Bundestags-Rede vom 31. Januar erklärte sie in Richtung des CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz: „Allen politischen Differenzen zum Trotz hätte ich mir niemals vorstellen können, dass eine christlich-demokratische Partei – eine christlich-demokratische Partei! – diesen Dammbruch vollzieht und mit Rechtsextremen paktiert.“ Sie warf Merz vor, „diese Mehrheiten gezielt gesucht“ zu haben, und ergänzte: „Das ist das verdammte Problem, und Sie verstehen es bis jetzt noch nicht.“
Hier paart sich historische Ignoranz mit politischer Dummheit. Und beides zielt darauf ab, ein wirkliches Verständnis der Situation und den Aufbau einer unabhängigen Massenbewegung gegen den Faschismus zu blockieren. Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist es nicht nur vorstellbar, sondern eine Tatsache, dass eine „christliche-demokratische Partei mit Rechtsextremen paktiert“.
Schon ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt das. Wie alle anderen bürgerlichen Parteien stimmte am 24. März 1933 die christdemokratische Zentrumspartei, aus der sich viele CDU-Nachkriegsführer, darunter der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer, rekrutierten, für Hitlers Ermächtigungsgesetz. Viele alte Nazis, darunter Adenauers Kanzleramtschef Hans Globke, fanden nach dem Untergang des Dritten Reichs in der CDU ihre neue politische Heimat. Umgekehrt stammen viele der heutigen AfD-Führer, darunter ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland, aus der CDU.
Appelle an Merz, das „Problem zu verstehen“ und seine Orientierung auf die AfD doch noch einmal zu überdenken, sind vor diesem Hintergrund politisch kriminell. Der CDU-Führer handelt nicht aus einem Mangel an Verständnis, seine in der Tat „gezielte“ Zusammenarbeit mit der AfD hat objektive Ursachen und beschränkt sich auch nicht einfach auf die CDU. Ähnlich wie die herrschende Klasse in den USA auf Trump setzen auch die deutschen Eliten, wie in den 1930er Jahren, wieder auf faschistische Kräfte, um ihr Programm von Aufrüstung, Sozialkahlschlag und Diktatur gegen die Bevölkerung durchzusetzen. In ihrem Wahlaufruf zu den Bundestagswahlen erklärt die Sozialistische Gleichheitspartei:
Donald Trump, ein vorbestrafter Immobilienhai und Spielcasinobetreiber, verfolgt eine Politik der wirtschaftlichen Erpressung, der militärischen Eroberung und der gewaltsamen Unterdrückung. Er droht nicht nur China und anderen wirtschaftlichen Rivalen mit Strafzöllen und militärischer Gewalt, sondern auch den bisherigen Verbündeten der USA. Mit der Verhaftung und Deportation von Millionen Migranten bereitet er die Unterdrückung jeder sozialen und politischen Opposition innerhalb des eigenen Landes und die Errichtung einer Diktatur vor.
Die herrschende Klasse Deutschlands geht denselben Weg. Ihre Antwort auf „Make America Great Again“ lautet „Deutschland über alles“. Sie reagiert auf Trump, indem sie aufrüstet wie seit Hitler nicht mehr. Darüber sind sich alle im Bundestag vertretenen Parteien einig. Im Krieg gegen Russland sind sie bereit, einen Atomkrieg zu riskieren. In Gaza unterstützen sie einen Völkermord. Sie haben die Bundestagswahl vorgezogen, weil sie eine Regierung brauchen, die die Kriegspolitik und den damit verbundenen sozialen Kahlschlag konsequenter umsetzen kann als die diskreditierte Ampel.
Reichinneks Aufruf im Bundestag an SPD und Grüne: „Schließt eine Koalition mit dieser Union aus. Es kann euch nur schaden“, richtet sich in Wirklichkeit nicht gegen die faschistische Gefahr, sondern zielt darauf ab, eine unabhängige sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse gegen Kapitalismus, Faschismus und Krieg zu unterdrücken. SPD und Grüne sind nicht nur bereit, mit Merz und der CDU eine Koalition zu bilden. Sie greifen ihn im Wahlkampf dafür an, nicht schon jetzt gemeinsam mit ihnen die Flüchtlingspolitik der Rechtsextremen in die Tat umzusetzen.
Tatsächlich ist auch Die Linke selbst Bestandteil dieser rechten Allparteienkoalition. Am deutlichsten zeigt sich das überall dort, wo sie auf Landesebene zusammen mit SPD und Grünen regiert (oder regiert hat) und mit den Hartz-IV- und Kriegsparteien das flüchtlings- und arbeiterfeindliche Programm aggressiv umsetzt. Allen voran Thüringen – wo Die Linke mit Bodo Ramelow zwischen 2014 und 2024 ihren ersten und bis dato einzigen Ministerpräsidenten stellte – ist berüchtigt für hohe Abschiebequoten, Armut und die Stärkung der rechtsextremen AfD durch alle etablierten Parteien.
2020 machte Ramelow, der als Direktkandidat der „Mission Silberlocke“ im Wahlkampf regelmäßig mit Reichinnek auftritt und sich als „Heidi-Fan“ bezeichnet, den AfD-Mann Michael Kaufmann mit seiner Stimme zum Vizepräsidenten des thüringischen Landtags. Und in den Parlamentsausschüssen des Landtags und auf kommunaler Ebene arbeiten Abgeordnete der Linken selbst längst eng mit der AfD zusammen. In Sachsen unterstützt auch Die Linke die Einbindung der AfD durch regelmäßige Konsultationen in die Arbeit der schwarz-roten Minderheitsregierung.
Reichinneks Opposition gegen die Faschisten ist genauso impotent und verlogen wie ihre Phrasen über „soziale Gerechtigkeit“, „Menschenrechte“ und „Frieden“. Tatsächlich unterstützt sie, wie ihre gesamte Partei, die Kriegspolitik der Regierung, die zu Lasten der sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiter geht und immer offener an die räuberischen und völkermörderischen Traditionen des deutschen Imperialismus anknüpft.
Besonders aggressiv stellte sich Reichinnek in einer Bundestagsrede vom 21. März 2024 hinter den Genozid in Gaza. Sie wiederholte die offizielle Gräuelpropaganda vom „brutalen Massaker der Hamas“, deren „brutale Gewalt gegen Kinder und sexualisierte Gewalt gegen Frauen“ nur „mit wenigen Ereignissen zu vergleichen“ sei. Bei der Hamas handele „es sich nicht um Freiheitskämpfer, sondern um Terroristen, die entwaffnet werden müssen. Darüber müssen wir uns hier alle einig sein.“ Israel habe „selbstverständlich das Recht, sich zu verteidigen“.
Für diese offene Unterstützung des israelischen Vernichtungskriegs gegen die Palästinenser, der bereits mehrere zehntausende Menschenleben gekostet hat und nun von Trump und dem rechtsextremen Netanjahu-Regime auf die Spitze getrieben wird, erhielt Reichinnek laut Bundestagsprotokoll nicht nur Applaus aus den eigenen Reihen, sondern auch von Abgeordneten der SPD, der Grünen und der FDP.
Und auch an der zweiten imperialistischen Kriegsfront in der Ukraine gegen Russland steht Reichinnek stramm. Auf Abgeordnetenwatch.de stellt sie auf die Frage, wie es „mit einer Unterstützung der Ukraine vor, während und nach Verhandlungen“ aussieht, klar, dass sie das Kriegsziel der Nato, Russland in der Ukraine in die Schranken zu weisen, voll unterstützt. Etwaige Verhandlungen dürften „selbstverständlich nicht von Chinas und Russlands Interesse bestimmt werden“, betont sie.
In Bezug auf die Sanktionspolitik greift sie die Bundesregierung, die die von rechtsextremen Kräften durchsetze ukrainische Armee bis an die Zähne bewaffnet, sogar von rechts an. Die Linke fordere „seit langem, dass der Druck auf russische Oligarchen erhöht werden müsse, um auch im Machtapparat Putins das Interesse an einem schnellen Ende des Krieges zu verstärken“. Hierzu schlage man „beispielsweise ein Immobilienregister und das Einfrieren und Beschlagnahmen von Vermögen in Deutschland vor“. Die Bundesregierung tue hier „viel zu wenig“.
Zynischerweise trägt Reichinnek ein Rosa Luxemburg-Tattoo auf dem Unterarm. Dabei steht außer Frage, dass die große revolutionäre Marxistin „Heidis“ pseudolinke und durch und durch bürgerliche und pro-imperialistische Politik scharf bekämpft hätte. Wie sie am Vorabend des Ersten Weltkriegs betonte, muss die Arbeiterklasse „die Konsequenz ziehen, dass man den Imperialismus, Krieg, Länderraub, Völkerschacher, Rechtsbruch, Gewaltpolitik nur bekämpfen kann, indem man den Kapitalismus bekämpft, indem man dem weltpolitischen Völkermord die soziale Revolution entgegenstellt“.
In dieser marxistischen Tradition, die nach der russischen Oktoberrevolution von der Linken Opposition Leo Trotzkis gegen den Stalinismus und der Vierten Internationale fortgesetzt wurde, steht die Sozialistische Gleichheitspartei. Arbeiter und Jugendliche, die gegen Faschismus, Sozialabbau und Krieg kämpfen wollen, müssen sich bewusst in diese Tradition stellen und die SGP als neue sozialistische Massenpartei aufbauen. Die Situation ist ernst und verlangt nach einer ernsthaften revolutionären Politik. Die politischen Oberflächlichkeiten der Pseudolinken und ihrer Unterstützer in der bürgerlichen Presse müssen als das entlarvt und zurückgewiesen werden, was sie sind: reaktionäre Manöver zur Rettung des Kapitalismus.