Eine der ersten Handlungen des designierten nächsten Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) nach der Wahl bestand darin, den rechtsextremen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach Deutschland einzuladen. Deutlicher könnte man den militaristischen und autoritären Charakter der neuen Bundesregierung, die sich voraussichtlich aus Union und SPD zusammensetzen wird, nicht zeigen.
Netanjahu ist ein vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) mit einem Haftbefehl belegter Kriegsverbrecher und Völkermörder. Der zentrale Vorwurf, den das Gericht gegen Netanjahu und seinen mittlerweile ausgewechselten Verteidigungsminister Yoav Galant erhebt, ist „das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung“. Es stellt ein Kriegsverbrechen dar. Den beiden Politikern werden darüber hinaus noch weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit – darunter Mord und Verfolgung – vorgeworfen.
Merz’ Vorstoß ist ein direkter Bruch des Völkerrechts. Deutschland gehört zu den 124 Vertragsstaaten, die das Römische Statut des IStGH unterzeichnet haben, und ist verpflichtet, Netanjahu zu verhaften, sollte er Deutschland besuchen. Stattdessen erklärte Merz, er habe Netanjahu in dem Telefonat am Montag „auch zugesagt, dass wir Mittel und Wege finden werden, dass er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist“. Er halte „es für eine ganz abwegige Vorstellung, dass ein israelischer Ministerpräsident die Bundesrepublik Deutschland nicht besuchen kann“, so der Kanzler in spe weiter.
Mit seiner Einladung stellt Merz klar, dass eine Regierung unter seiner Führung Israels Völkermord an den Palästinensern weiter unterstützen und die Unterstützung sogar noch ausweiten wird. Bereits die Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat den Genozid von Anfang an voll unterstützt. Sie hat die Verbrechen nicht nur verteidigt, sondern auch Waffen dafür geliefert und jeden als Antisemiten denunziert und kriminalisiert, der den Völkermord anprangert. Nur wenige Tage vor der Wahl wurde die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese in Berlin massiv von der Polizei eingeschüchtert und ihre Veranstaltung überwacht.
Bereits im Januar hatte Merz in einer außenpolitischen Grundsatzrede vor der Körber-Stiftung angekündigt, Israel noch stärker zu unterstützen. Eine von ihm geführte Bundesregierung werde „auch unsere Beziehungen zu Israel festigen“. Er werde das „faktische Exportembargo“ für einige Waffensysteme „umgehend beenden“, und künftig werde gelten: „Was Israel zur Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts benötigt, wird Israel auch bekommen.“ Der Begriff „Staatsräson“ werde „sich wieder an Taten und nicht nur an Worten messen“. Es müsse „wieder unmissverständlich klar werden: Deutschland steht nicht zwischen den Stühlen, sondern Deutschland steht fest an der Seite Israels.“
Es ist der Gipfel des Verbrechens, wenn die herrschende Klasse Deutschlands unter dem Mantra der „Staatsräson“ die Unterstützung für Israels Genozid an den Palästinensern mit dem Verweis auf ihre eigene Verantwortung für den Völkermord an sechs Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg rechtfertigt. Tatsächlich knüpft sie damit an genau diese völkermörderische Tradition an. Sie setzt mit der Unterstützung Israels nicht das „Nie wieder!“ um, wie sie offiziell behauptet, sondern sie tut es wieder! Netanjahus Vernichtungsfeldzug lässt daran keinen Zweifel.
Nach fast eineinhalb Jahren Völkermord ist der Gazastreifen fast komplett zerstört und zehntausende Palästinenser – mehrheitlich Frauen und Kinder – sind bereits ermordet worden. Den Überlebenden droht das gleiche Schicksal oder die gewaltsame Vertreibung. Aktuell nutzt die Netanjahu-Regierung den brüchigen Waffenstillstand mit der Hamas in Gaza, um den Genozid auf die Westbank auszuweiten.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Während Merz seine Einladung an Netanjahu aussprach, bezeichnete der stellvertretende Knesset-Sprecher Nissan Vaturi (Likud) die Palästinenser in Gaza als „Ausgestoßene“, die „niemand auf der Welt“ wolle. „Kinder und Frauen“ müssten „getrennt und Erwachsene eliminiert werden“. Sie seien „Schmutz und Untermenschen“. Zudem rief er dazu auf, nach dem Gazastreifen nun auch die Westbank dem Erdboden gleich zu machen. „Wir werden Dschenin bald in ein Gaza verwandeln“, drohte er.
Gleichzeitig veröffentlichte US-Präsident Donald Trump ein KI-generiertes Video, das ihn und Netanjahu Cocktail schlürfend am Strand in Gaza zeigt. Zwischen leicht bekleideten Tänzerinnen und Tänzern ist der faschistische Oligarch und Trump-Berater Elon Musk zu sehen, der mit Dollarscheinen um sich wirft. Im Hintergrund fahren Teslas über Plätze mit goldenen Trump-Statuen. Das Video ist nicht nur eine Provokation einer völlig degenerierten herrschenden Klasse. Es illustriert das monströse Programm Trumps, der bereits Anfang des Monats seinen Plan verkündet hat, den Gazastreifen ethnisch zu säubern, zu annektieren und in eine „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln.
Wie bei der imperialistischen Unterjochung und Ausbeutung der Ukraine, die mit Trumps „Rohstoffdeal“ mit Kiew ein neues Stadium erreicht, will der deutsche Imperialismus auch bei der Rekolonialisierung des Nahen Ostens nicht abseitsstehen. Das ist die wirkliche Bedeutung von Merz’ Einladung. Die Kriegsziele gehen dabei weit über die Palästinensergebiete hinaus. Berlin und die anderen imperialistischen Mächte buhlen um Israel, um mit ihm als Statthalter in der Region ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen zu verfolgen. Die Unterstützung und Bewaffnung der israelischen Mordmaschinerie ist Bestandteil des umfassenderen Ziels, die gesamte Region zu unterjochen und die ganze Welt unter den imperialistischen Mächten neu aufzuteilen.
Nach den Bundestagswahlen befindet sich die herrschende Klasse – getrieben von der internationalen Krise des Kapitalismus und dem Zusammenbruch der transatlantischen Beziehungen – in einem regelrechten Kriegstaumel. Die Pläne reichen von einem neuen Sondervermögen in Höhe von 200 Milliarden bis hin zu einer Erhöhung der jährlichen Rüstungsausgaben auf 3,5 Prozent des BIP (Robert Habeck/Grüne) oder sogar 5 Prozent (Alice Weidel/AfD). Das Bündnis mit Netanjahu ist auch vor diesem Hintergrund eine ernste Warnung: Wie in der Vergangenheit dient die Aufrüstung nicht dem „Frieden“, sondern der Durchsetzung von Völkermord, Krieg und Diktatur.