Gericht schiebt Deportation von Genozid-Gegnern auf – Berlin4 weiter in Gefahr

Die IYSSE organisieren mit anderen Gruppen an diesem Donnerstag (17. April) um 12 Uhr vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität eine Kundgebung zur Verteidigung der Berlin4. Kommt dorthin, um mit uns gegen die Abschiebung zu protestieren und zu diskutieren, was getan werden muss, um Krieg und Diktatur zu stoppen.

Am Donnerstag gab das Berliner Verwaltungsgericht einem Eilantrag Shane O’Briens statt, mit dem seine geplante Abschiebung vorübergehend aufgeschoben wird. O’Brien und drei weitere Aktivisten sollten aufgrund ihrer Palästina-Solidarität zum 21. April abgeschoben werden.

Das Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) hatte Anfang März einen Bescheid erlassen, O’Brien die Freizügigkeit in der EU zu entziehen und ein Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot zu verhängen. Beides sollte unmittelbar vollzogen werden. Dieser Sofortvollzug konnte nun gestoppt werden, bis über eine Klage gegen den Bescheid selbst entschieden ist. Für die anderen Betroffenen ist der Beschluss nicht bindend, da deren Verfahren vor anderen Kammern verhandelt werden.

Kundgebung zur Verteidigung der vier Gaza-Aktivisten am 7. April 2025 im Zentrum Berlins

Die Entscheidung des Gerichts macht deutlich, wie im Vorgehen gegen O’Brien und die anderen drei Aktivisten demokratische Rechte mit Füßen getreten werden. So erklärte das Gericht, dass es „ernstliche Zweifel an der materiellen Rechtsmäßigkeit“ des Bescheides habe. Das LEA sei im Verfahren „bereits seiner Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen“.

Beispielsweise seien in der Vorgangsakte des LEA zu O’Brien nur der Entwurf eines Strafbefehls der Amtsanwaltschaft Berlin wegen des Vorwurfs der Beleidigung, zwei Strafanzeigen in Bezug auf die Besetzung des Präsidiums der Freien Universität und ein zusammenfassender Bericht des Berliner LKA zu 17 laufenden Strafverfahren angehängt gewesen. Das LEA habe nicht einmal die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft angefordert – und das, obwohl es im vom LEA selbst angeführten LKA-Bericht heißt: „Um eine abschließende Bewertung zu treffen, ist es unerlässlich, die Ermittlungsakten bei der Staatsanwaltschaft anzufordern.“

Das Gericht schlussfolgert, dass die vom LEA aufgeführten Dokumente „für eine gerichtliche Überzeugungsbildung, der Antragsteller habe die ihm vorgeworfenen Taten begangen, ungeeignet“ sind. Der LKA-Bericht gebe „schlicht polizeiliche Tatvorwürfe wieder“.

Auch bei den weiteren Vorwürfen des LEA gegen O’Brien weist das Verwaltungsgericht auf erhebliche Mängel hin. Beim schwerwiegendsten Vorwurf – der Beteiligung an der Besetzung des Präsidiums der Freien Universität – lasse sich aus den Unterlagen nicht erkennen, in welchem Umfang O’Brien tatsächlich beteiligt war. Die behaupteten „Gewalttaten“ im Zusammenhang mit der Besetzung werden den vier Aktivisten nicht individuell zugerechnet. Auch die Bewertung der Besetzung als schweren Landfriedensbruch durch des LKA ist umstritten: So wurde im Fall der Besetzung der Humboldt-Universität nicht einmal Anklage wegen dieses Delikts erhoben.

Bei den weiteren Vorwürfen gegen O’Brien bemängelt das Gericht, dass das LEA nicht hinreichend geprüft habe, ob die einzelnen Handlungen jeweils eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes darstellen. In sieben Fällen sei dies nicht gegeben; sie könnten allenfalls im Rahmen der behördlichen Ermessenserwägung berücksichtigt werden. Hinsichtlich des Vorwurfs, O’Brien habe „From the river to the sea“ gerufen, verweist das Gericht auf die in diesem Zusammenhang bislang ungeklärte Rechtslage.

Die rechtliche Fragwürdigkeit der Entscheidung war auch bereits vor der Gerichtsentscheidung klar. So hatte sich auch das LEA selbst zunächst geweigert, die Abschiebebescheide auszustellen, da es keine Verurteilungen gab. Erst als die Senatsinnenverwaltung intervenierte, änderte es seine Position.

Auch Franz Mayer, Professor für Verfassungs- und Europarecht an der Uni Bielefeld, erklärte auf Twitter: „Der eigentliche Skandal: wer hat diese OFFENSICHTLICH rechtswidrige Maßnahme trotzdem angeordnet??? Es besteht schwerer Trumpismusverdacht.“ Insbesondere hinsichtlich der Unionsbürger sei das so offensichtlich rechtswidrig, dass das Verwaltungsgericht die Sache auch nicht dem EuGH vorliegen werde, schätzt er.

Es wäre jedoch eine falsche und gefährliche Illusion zu glauben, dass mit der Gerichtsentscheidung die Gefahr der Abschiebungen gebannt sei oder dass man diesen Generalangriff auf demokratische Rechte mit Hilfe der Gerichte abwehren könne. Während das Verwaltungsgericht feststellte, dass auf Grundlage eines frühen Ermittlungsstandes, der keine individuelle Zuordnung von Tatbeiträgen ermöglicht, die Freizügigkeit in der EU nicht entzogen werden kann, stellte es gleichzeitig auch fest, dass grundsätzlich ein Freiheitsentzug ohne strafrechtliche Verurteilung möglich ist.

Eine Sprecherin der Innenverwaltung kündigte bereits an, „sobald dies ohne Gefährdung der Ermittlungen“ möglich sei, würden sie die Strafverfahrensakten anfordern, „um die Vorwürfe noch substantiierter darlegen zu können“.

Auch die Sitzung des Berliner Innenausschusses am vergangenen Montag, die sich mit den geplanten Abschiebungen auseinandersetzte, verdeutlichte, dass man sich nicht auf Politik und Justiz orientieren darf. Der Staatssekretär für Inneres Christian Hochgrebe (SPD) betonte dort mehrfach, dass es sich in dem Fall um das „Rechtsgebiet des Ausländer- und Aufenthaltsrechts“ handele und nicht um Strafrecht und damit beispielsweise auch die Unschuldsvermutung nicht gelte. Diese „gehört hier schlichtweg nicht rein“, so Hochgrebe. Außerdem sei dies, „wie wir ständig verfahren beim Thema Rückführungen“.

Auf die Nachfrage eines Abgeordneten, wie es denn dazu gekommen sei, dass das LEA erst keinen Bescheid ausstellen wollte, weil es an Indizien für Gefährdung fehle, antwortete Hochgrebe lediglich: „Das ist nicht unsere Rechtsauffassung, und deswegen ist hier so entschieden worden, wie entschieden worden ist.“

Zusammengefasst heißt das: Für Menschen ohne deutschen Pass gelten grundlegende Rechte, wie die Unschuldsvermutung, nicht. Sie müssen nicht für eine Straftat verurteilt worden sein, um abgeschoben werden zu können, sondern es reicht, wenn sie nach „Rechtsauffassung“ des Innensenats eine „Gefährdung“ darstellen. Im Falle der Berlin4 sollen Menschen ausschließlich auf Grund ihrer politischen Haltung deportiert werden.

Wenn dieser Angriff durchkommt, dann wird er sich nicht nur gegen Menschen ohne deutschen Pass richten, sondern gegen alle Arbeiter. Die herrschende Klasse knüpft hier wieder an ihre alten autoritären Methoden und das Willensstrafrecht der Nazis an. Diese Entwicklung wurzelt letztlich in der Krise des Kapitalismus und kann daher nicht durch Druck auf Politiker oder Gerichte gestoppt werden, sondern nur durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

Die IYSSE organisieren mit anderen Gruppen an diesem Donnerstag (17. April) um 12 Uhr vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität eine Kundgebung zur Verteidigung der Berlin4. Kommt dorthin, um mit uns gegen die Abschiebung zu protestieren und zu diskutieren, was getan werden muss, um Krieg und Diktatur zu stoppen.