Perspektive

US-Ukraine-Deal: Zerfall des transatlantischen Bündnisses und Trumpisierung Europas

Der Versuch von US-Präsident Trump, den Ukrainekonflikt durch einen Deal mit Moskau zu beenden, stößt in Europa auf heftigen Widerstand und sprengt das Bündnis mit den USA. Die Zeit, in der diese als „Partner“ galten, ist unwiderruflich vorbei.

Ukrainische Soldaten bereiten in der Region Charkiw den Beschuss russischer Stellungen mit einer von den USA gelieferten Haubitze vor, 14. Juli 2022 [AP Photo/Evgeniy Maloletka]

Trump habe „den Ruf Amerikas als verlässlicher und vernünftiger Verbündeter endgültig ruiniert“, schreibt F.A.Z.-Herausgeber Berthold Kohler. Dass Kiew nun den Kotau vor Trump machen müsse, sei „die Strafe dafür, sich bei der Gewährleistung der eigenen Sicherheit grob fahrlässig von einem unsicheren Kantonisten abhängig gemacht zu haben“. Frankreichs Präsident Macron habe recht gehabt „mit der Forderung nach strategischer Autonomie“, nach der nun viel konsequenter gestrebt werden müsse.

Darüber herrscht in den wichtigsten europäischen Hauptstädten Übereinstimmung. Doch das Streben nach „strategischer Autonomie“ – der Aufbau von Streitkräften, die der gewaltigen amerikanischen Militärmaschinerie ebenbürtig sind und den Krieg gegen Russland fortsetzen können – lässt sich nicht mit den sozialen Verhältnissen vereinbaren, die die Klassengegenätze in Europa lange Zeit gedämpft haben. Es setzt heftige Klassenkämpfe auf die Tagesordnung.

„Strategische Autonomie“ erfordert die Verschiebung gigantischer Summen aus den Sozial- in die Militärbudgets, die Vernichtung hunderttausender Arbeitsplätze im internationalen Handelskrieg und die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Eltern müssen sich wieder darauf einstellen, „ihre Kinder zu verlieren“, wie der französischen Armeechef Mandon kürzlich sagte. Kurz gesagt, „strategische Autonomie“ erfordert die „Trumpisierung“ Europas.

Leo Trotzki hatte in den 1920er Jahren geschrieben: „Der amerikanische Kapitalismus wird Europa immer mehr in diese Sackgasse hineintreiben und es automatisch zur Revolution drängen. Das ist der wichtigste Schlüssel für die Erkenntnis der Weltlage.“ Und er hatte gewarnt: „Während der Krise wird sich die Hegemonie der Vereinigten Staaten noch viel vollständiger, offener, schärfer und rücksichtsloser auswirken als während der Aufstiegsperiode.“[*]

Der Wall Street Crash von 1929 trieb Europa, wie Trotzki vorausgesehen hatte, tatsächlich in eine revolutionäre Krise. Doch die Arbeiterklasse wurde erst in Deutschland, dann in Frankreich und Spanien besiegt, weil die sozialdemokratischen und stalinistischen Massenparteien versagten. Die Folge war die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs.

Nach dem Krieg retteten die Vereinigten Staaten den völlig diskreditierten europäischen Kapitalismus. Die deutsche Bourgeoisie saß damals von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt auf den Trümmern des Kriegs, den sie selbst angezettelt hatte. Die Bourgeoisie Italiens und Frankreichs hatte eng mit den Nazis zusammengearbeitet. In der Arbeiterklasse herrschte die weitverbreitete Überzeugung, dass der Kapitalismus versagt habe und beseitigt werden müsse.

Zwei Faktoren verhinderten den Sturz des europäischen Kapitalismus. Der erste war die stalinistische Bürokratie in Moskau, die ihren Einfluss auf die Kommunistischen Parteien nutzte, um jede revolutionäre Initiative im Keim zu ersticken. Der zweite waren die USA, die Westeuropa als Bollwerk im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion und als Absatzmarkt brauchten und dem europäischen Kapitalismus mithilfe des Marshall-Plans wieder auf die Füße halfen.

Heute sind die USA kein stabilisierender, sondern der größte destabilisierende Faktor der Weltpolitik. Aus dem reichsten ist das höchstverschuldete Land der Welt geworden. Der amerikanische Imperialismus versucht sich aus seiner Krise zu befreien, indem er Gegner und Verbündete mit Strafzöllen überzieht, militärisch bedroht und der eigenen Arbeiterklasse den Krieg erklärt. Das hat nicht mit Trump begonnen, sondern bereits mit Ronald Reagan. Es setzte sich unter dessen demokratischen und republikanischen Nachfolgern fort und hat mit Trump eine neue Dimension erreicht.

Die Krise des US-Imperialismus treibt nicht nur die amerikanische Gesellschaft in eine revolutionäre Konfrontation, sondern auch die europäische. Wie Trotzki vor hundert Jahren schrieb, „revolutioniert der amerikanische Kapitalismus das überreife Europa“. Die sozialen Mechanismen und politischen Institutionen, die den Klassenkampf in der Vergangenheit dämpften, brechen unter dem Druck amerikanischer Strafzölle, der Profitansprüche der Finanzmärkte und der gewaltigen Kosten der Aufrüstung zusammen.

Gute Bildung, ausreichende Gesundheitsversorgung, hohe Löhne und sichere Renten sind Dinge der Vergangenheit. Reformistische Gewerkschaften und Parteien haben sich in Handlanger des Kapitals verwandelt. Pseudolinke Parteien wie Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, Die Linke in Deutschland – und Mamdani in New York – zeigen ihr wahres Gesicht, sobald sie in Regierungsämter gewählt werden.

Aufgrund des Bankrotts der sozialreformistischen Parteien konnten rechte Demagogen von der wachsenden Unzufriedenheit profitieren. Doch das beginnt sich zu verändern. Die Massenproteste gegen Macrons Rentenreform in Frankreich, die Großdemonstrationen gegen den Gaza-Genozid in Großbritannien und Spanien sowie die gegenwärtigen Generalstreiks in Belgien, Italien und Portugal zeigen das.

Noch trägt diese Bewegung keinen revolutionären Charakter. Sie wird von traditionellen Gewerkschaften, syndikalistischen Basisgewerkschaften und pseudolinken Gruppen dominiert. Sie bleibt der Illusion verhaftet, man könne die Herrschenden durch Druck zu einem Kurswechsel bewegen. Doch Arbeiter und Jugendliche lernen schnell. Das Versagen der Protestpolitik macht sie für eine revolutionäre, sozialistische Perspektive empfänglich – wenn dafür systematisch gekämpft wird.

Für den europäischen und insbesondere den deutschen Imperialismus ist der Krieg gegen Russland eine strategische Schlüsselfrage. Solange sie das weltgrößte Atomwaffenarsenal im Rücken haben, können sie ihre globalen imperialistischen Ambitionen nur schwer verfolgen. Russland verfügt außerdem über wertvolle Rohstoffe. Schon Hitler hatte deshalb die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ zum wichtigsten außenpolitischen Ziel erklärt. Der Krieg verfolgt außerdem innenpolitische Zwecke – die Militarisierung der gesamten Gesellschaft in Vorbereitung auf heftige Klassenkämpfe.

Doch ohne amerikanische Unterstützung, darüber sind sich selbst die schärfsten Falken einig, lässt sich der Krieg gegen Russland zumindest in den nächsten drei bis fünf Jahren nicht fortsetzen, geschweige denn gewinnen. Daher die Verbitterung über den amerikanischen „Verrat“ und das Tempo, mit dem die europäische Aufrüstung vorangetrieben wird.

Der Konflikt mit den USA schweißt Europa nicht zusammen, sondern verschärft die Rivalität zwischen den europäischen Mächten. Die Versöhnung zwischen den „Erzfeinden“ Deutschland und Frankreich, die innerhalb von 75 Jahren drei verlustreiche Kriege gegeneinander geführt hatten, war weniger auf die Einsicht Adenauers und de Gaulles zurückzuführen, als auf den Druck der USA. Heute sind sich Paris und Berlin zwar einig, aufzurüsten und den Krieg gegen Russland fortzusetzen – aber keiner will dem anderen die Führung in Europa überlassen.

Ein Deal zwischen Putin und Trump würde den Ukrainekonflikt nicht beenden. Er wäre nur eine weitere Etappe auf dem Weg zu einem dritten Weltkrieg. Ein wirklicher Frieden kann nur durch die unabhängige Intervention der internationalen Arbeiterklasse erreicht werden, die allen Kriegstreibern das Handwerk legt.

Der Kampf gegen Entlassungen, Lohn- und Sozialabbau, die Verteidigung demokratischer Rechte und der Kampf gegen Krieg fallen dabei untrennbar zusammen. Arbeiter müssen sich von der Illusion verabschieden, man könne die Herrschenden durch moralische Appelle oder politischen Druck von ihrem Kurs abbringen. Man kann nicht ernsthaft gegen Krieg kämpfen, ohne der Diktatur des Finanzkapitals und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, das die Ursache für Militarismus und Krieg ist, ein Ende zu setzen.

Das erfordert einen vollständigen Bruch mit allen Parteien und Organisationen, die den Kapitalismus verteidigen, und den Aufbau einer Partei, die die Arbeiterklasse aller Länder und Nationalitäten im Kampf für eine sozialistische Gesellschaft vereint – der Sozialistischen Gleichheitspartei und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.


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Leo Trotzki, Europa und Amerika, S. 288, und Die Dritte Internationale nach Lenin, S. 29 (Mehring Verlag)

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