Die israelische Regierung unter Ariel Sharon hat öffentlich ihre Absicht erklärt, Jasser Arafat zu ermorden, den vom Volk gewählten Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde.
Die Absichtserklärung war keine emotionale Entgleisung eines Kabinettsmitglieds, das die Selbstkontrolle verloren hat. Sie stammt vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Israels, Ehud Olmert, dem engsten Verbündeten und möglichen Nachfolger Sharons. Die Drohung erfolgte mit Absicht und dient eindeutigen politischen Zielen.
Die Schwere des Verbrechens, das hier vorgeschlagen wird, erfordert sorgfältiges Nachdenken. Arafat ist seit rund 35 Jahren eine wichtige Figur der Weltpolitik. Unabhängig davon, was man über seine Politik denkt - und die World Socialist Web Site stimmt mit seinen nationalistischen Anschauungen sicherlich nicht überein -, ist es doch unbestritten, dass er mit den nationalen Bestrebungen des palästinensischen Volkes identifiziert wird, denen er sein ganzes Erwachsenenleben gewidmet hat. Vor einem Jahrzehnt wurde er ins Weiße Haus eingeladen, um einen vom Pech verfolgten Friedensvertrag zu unterzeichnen, und als es den Großmächten ins Konzept passte, erhielt er sogar den Friedensnobelpreis.
Zu welchem Zweck werden nun öffentlich Pläne zur Ermordung eines solchen Mannes verkündet?
Die israelische Regierung behauptet, Arafat müsse ermordet werden, weil der 74-jährige Palästinenserpräsident ein untragbares "Hindernis für den Versöhnungs- und Friedensprozess" darstelle. Das sagt ein Regime, das eine Provokation der anderen folgen lässt - von der Ermordung führender Palästinenser über Kollektivstrafen, wie die Zerstörung von Häusern und die Absperrung ganzer Städte, und Bombenangriffen auf dichtbesiedelte Wohngebiete bis zur ständigen Beschlagnahmung palästinensischen Landes.
Die Beschwerden der Sharon-Regierung laufen in Wirklichkeit darauf hinaus, dass Arafat nicht zu ihrer Marionette wurde und davor zurückschreckte, einen Bürgerkrieg gegen das eigene Volk zu führen.
Hinter dem verkommen Mordaufruf steckt aber noch eine weitergehende politische Logik. Die israelische Regierung verfolgt eine politische Strategie, die darauf abzielt, die palästinensische Nationalbewegung zu zerstören, möglichst viel Land in den besetzten Gebieten zu annektieren und die Gründung eines Palästinenserstaats zu vereiteln. Dabei hebt sie eine seit langem erprobte Taktik auf eine neue Stufe - durch eine gezielte Provokation werden heftige Reaktionen ausgelöst, die dann wiederum als Begründung für weitere bewaffnete Angriffe und die Expansion Israels herhalten müssen.
Die Sharon-Regierung kümmert sich nicht um Warnungen, die Tötung Arafats werde Volksaufstände und weitere terroristische Anschläge in Israel nach sich ziehen, weil sie eine solche Konfrontation will. In ihren Augen bietet der Ausbruch massenhafter Empörung unter den Palästinensern einen willkommenen Anlass, eine Verhandlungslösung für immer zu verunmöglichen und ihre langgehegten "Großisrael"-Pläne zu verwirklichen, indem sie Millionen Palästinenser gewaltsam aus den besetzten Gebieten vertreibt.
Es handelt sich um ein Regime, das sich auf Provokationen versteht und durch Gewalt aufblüht. Es sei nur daran erinnert, dass Sharon selbst die politische Kampagne ins Werk setzte, die schließlich zur Folge hatte, dass einer seiner rechten Anhänger Premierminister Yitzhak Rabin ermordete, weil dieser einen Vertrag mit Arafat unterzeichnet hatte. Im September 2000 provozierte Sharon mit einem Besuch auf dem Tempelberg gezielt eine Konfrontation, die jede Diskussion über eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern verunmöglichte und zum Blutvergießen der vergangenen drei Jahre führte.
Arafats Ermordung wäre die größtmögliche Provokation. Ihr Ziel bestände darin, eine heftige Reaktion hervorzurufen, die das israelische Regime dann als Vorwand für einen umfassenden Angriff auf das palästinensische Volk nutzen würde.
Die Drohung beinhaltet auch ein Element psychologischer Kriegsführung. Sie soll dem palästinensischen Volk die Botschaft übermitteln, dass Widerstand sinnlos sei. Sie soll einer Bevölkerung, die permanent unter Besatzung, Straßensperren, Schikanen und Demütigungen leidet, den Eindruck vermitteln, dass sie isoliert, wehrlos und ohne Hoffnung ist. Die israelische Regierung verkündet ihren Opfern, es gebe kein Verbrechen, dass sie nicht gegen sie begehen könne, und niemand könne sie daran hindern.
Dieser Gedankengang wurde am 11. September von der Jerusalem Post, der auflagestärksten englischsprachigen israelischen Zeitung, in einem Kommentar unter der Überschrift "Tötet Arafat" offen ausgesprochen. In einer Sprache, die man nur mit derjenigen Hitlers vergleichen kann, tut die Zeitung Warnungen ab, ein derartiger Mord werde in den besetzten Palästinensergebieten und dem gesamten Nahen Osten Aufstände auslösen:
"Der Tod Arafats, herbeigeführt durch Israel, würde die arabische Opposition gegen Israel nicht radikalisieren; im Gegenteil. Der gegenwärtige Dschihad wird durch die Wahrnehmung befeuert, dass Israel gehindert wird, sich durch entschiedene Maßnahmen zu verteidigen... Die Tötung Arafats würde mehr als jede andere Maßnahme deutlich machen, dass Terror inakzeptabel ist, auch gegen Israel, auch im Namen eines Palästinenserstaats."
Es lohnt sich, über die Ideologie nachzudenken, welche die Jerusalem Post zum erstaunlichen Schluss verleitet, die Ermordung eines gewählten Präsidenten sei ein Mittel, das deutlich macht, "dass Terror inakzeptabel ist". Die Sprache riecht nach Faschismus und zeigt, wie weit die israelische Rechte die Ansichten der Nazis übernommen hat.
Der heutige Zionismus und der jüdische Staat berufen sich beide auf das Erbe des Nazi-Holocaust gegen die Juden, um ihre Existenz zu begründen. Der israelische Historiker Tom Segev hat in seinem Buch "Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung" angemerkt, welch merkwürdige Auswirkung diese ideologische Rechtfertigung auf das Verhalten und die Psychologie des israelischen Staats hat:
"Die Annahme lautet, der Holocaust verlange nach der Existenz eines starken Israel und die Welt habe sich disqualifiziert, Israel an die Einhaltung moralischer Gebote, einschließlich der Menschenrechte, zu mahnen, weil sie das jüdische Volk während des zweiten Weltkriegs nicht gerettet habe. Das Gefühl, der Holocaust sei entsprechend der zionistischen Ideologie unvermeidlich gewesen, und die Identifikation mit dem Juden als Opfer verleiten Israelis leicht zum Schluss, ihre Existenz beruhe ausschließlich auf militärischer Macht..." (aus dem Englischen)
Ein besonders grotesker Ausdruck dieser von Segev beschriebenen Neigung findet sich in dem "Tötet Arafat"-Kommentar der Jerusalem Post. Es heißt dort: "Die Welt wird uns nicht helfen; wir müssen uns selber helfen. Wir müssen so viele Führer der Hamas und des Islamischen Dschihad wie möglich so schnell wie möglich töten und dabei den Kollateralschaden minimieren, ohne uns von diesem Schaden zurückhalten zu lassen. Und wir müssen Arafat töten, weil uns die Welt keine Alternative lässt."
Die Auffassung, der Holocaust sei unvermeidlich gewesen und die Nazis seien lediglich ein Beispiel dafür, wie die Welt funktioniere, führt zu einer mörderischen Logik. Unter rechten Elementen der israelischen Gründergeneration wie Sharon kursiert die Vorstellung, dass es aus den Verbrechen der Nazis etwas zu lernen gebe - dass nämlich alles möglich sei, vorausgesetzt man wende ausreichend Gewalt an.
Diese Schichten weisen die universellen, humanistischen, liberalen und auch sozialistischen Ideale ausdrücklich zurück, mit denen das jüdische Volk über Generationen identifiziert wurde und die es zu einer Zielscheibe für die extreme Rechte haben werden lassen. Ausgehend von einer ethnisch und religiös begründeten nationalistischen Ideologie finden sie gewisse Aspekte der Naziideologie höchst anziehend.
Der israelische Staat, der seine Legitimität aus der Reaktion auf die Verbrechen der Nazis ableitet, wendet nun Methoden an, die an das Warschauer Ghetto und die Konzentrationslager erinnern - welch eine Vertiefung der historischen Tragödie des Holocaust.
Die Nazis verfolgten mit ihrer übertriebenen Bestialität ein definitives Ziel. Sie sollte den Bewohnern der besetzten Gebiete und den Insassen der Todeslager vor Augen führen, dass sie hilflos waren, dass jeder Widerstand aussichtslos war. Dass der israelische Staat nun auf gleiche Weise versucht, das palästinensische Volk zu demoralisieren und einzuschüchtern, ist kein Zufall, sondern eine grausame historische Ironie, die israelische Arbeiter und Jugendliche erfassen müssen, wenn sie nicht zu ahnungslosen Komplizen eines weiteren monströsen Verbrechens werden wollen.
Das kriminelle Vorgehen des Sharon-Regimes wird durch die sogenannte Weltgemeinschaft unterstützt und begünstigt. Vor allem Washington hat die Politik der gezielten Morde fast offen unterstützt, indem es jede Widerstandshandlung gegen die israelische Besatzung als "Terrorismus" brandmarkte und so gut wie alle Repressionsmaßnahmen des israelischen Regimes rechtfertigte.
Die Morddrohungen gegen Arafat sind von der Bush-Administration lediglich aus Gründen der Zweckmäßigkeit und nicht prinzipiell abgelehnt worden. Nachdem sie Arafat selbst zur Unperson erklärt hat, scheint sie sich nur über den Zeitpunkt seiner möglichen Ermordung Sorgen zu machen. Sie fürchtet, ein solches Vorgehen könnte die amerikanischen Bemühungen um internationale Unterstützung für die illegale Besetzung des Irak stören. Hinzu kommt, dass die Bush-Administration selbst in einem Ausmaß wie nie zuvor Morde als Mittel der Außenpolitik einsetzt. Das hat das von den USA abhängige Israel zusätzlich in seinem Vorgehen bestärkt.
Fest steht, dass niemand in Washington auch nur angedeutet hat, die Tötung des gewählten Palästinenserführers könnte Auswirkungen auf die Milliarden Dollar amerikanischer Hilfe haben, die die Wirtschaft und das Militär Israels am Leben erhalten.
Die Vereinten Nationen, die Europäisch Union, die Arabische Liga und ähnliche internationale Institutionen haben bestenfalls mit schüchternen Protesten auf die Verkündung der Mordpläne reagiert. Regierungssprecher bezeichnen die Morddrohungen routinemäßig als "ernsthaften Fehler" oder "schweren Irrtum", anstand sie bei ihrem richtigen Namen zu nennen: ein monströses Verbrechen.
Die Tatsache, dass eine solche Drohung ausgesprochen wird und nicht eine internationale Institution oder Regierung darauf reagiert, indem sie verspricht, die zionistischen staatlichen Mörder dafür zur Verantwortung zu ziehen und Sharon oder andere offizielle Vertreter Israels zu verhaften und anzuklagen, wenn sie ausländischen Boden betreten, sagt viel über den Verfall des internationalen politischen Klimas aus.
Die reaktionäre Perspektive des Zionismus hat ihren abschließenden, grotesken Ausdruck im öffentlichen Vorschlag gefunden, Arafat zu ermorden. Das Sharon-Regime hat im Nahen Osten eine blutige Katastrophe angezettelt, um seine expansionistischen Ziele zu verfolgen. Nur die Entstehung einer neuen, unabhängigen Bewegung, die für die Vereinigung von Juden und Arabern auf demokratischer, säkularer und sozialistischer Grundlage eintritt, kann dem Einhalt gebieten.
Unterdessen sollten internationale Massenproteste organisiert werde, um Arafat zu verteidigen und die verkommenen Drohungen der israelischen Regierung zu verurteilen.