Die IG Metall und der Gesamtbetriebsrat haben bei BMW eine nie dagewesene Flexibilisierung der Arbeitszeit für die rund 70.000 Beschäftigten in den sechs deutschen Werken vereinbart. Im Gegenzug erklärte sich der Konzern bereit, 3.000 Arbeiter neu einzustellen, vornehmlich aus dem Kreis der rund 11.000 Leiharbeiter.
Im vergangenen Jahr hat BMW weltweit 1,67 Millionen Fahrzeuge verkauft und einen Rekordgewinn von 4,9 Milliarden Euro erzielt. Auch das Jahr 2012 verläuft bislang erfolgreich. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass dies auch für BMW bald vorüber sein könnten. Um sich darauf vorzubereiten, haben Gewerkschaft, Betriebsrat und Konzernspitze seit Monaten hinter verschlossenen Türen die jetzige Vereinbarung ausgearbeitet.
Nicht zuletzt aufgrund der hohen Leiharbeitsquote arbeitet die BMW AG hoch profitabel. BMW beschäftigt doppelt so viele Leiharbeiter wie die anderen deutschen Autohersteller. In einigen Werken liegt ihr Anteil bei 20 Prozent im Vergleich zu den Stammbeschäftigten, im Werk in Leipzig sogar bei rund 30 Prozent. Mit der jetzigen Vereinbarung soll der durchschnittliche Anteil von Leiharbeitern angeblich auf 8 Prozent gesenkt werden.
BMW, IG Metall, Betriebsrat und Medien sprechen alle von einem großen Erfolg. Die Frankfurter Rundschau sprach von einer „Win-Win-Situation“. Beide Seiten, Arbeiter und Konzern, würden von der Betriebsvereinbarung profitieren. „Der Autobauer BMW ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein Unternehmen auch in Krisen- und Boomzeiten flexibel sein kann“, lobte die IG Metall in einer Pressemitteilung.
In Wirklichkeit haben IGM und Gesamtbetriebsrat in Zusammenarbeit mit der Konzernspitze den massiven Einsatz von Leiharbeit bei BMW genutzt, um auch die Arbeitsbedingungen der fest Eingestellten zu unterhöhlen. Geregelte Arbeitszeiten, freie Wochenenden und fester Urlaub sind mit der neuen Vereinbarung endgültig vorbei. Der Konzern kann rund um das Jahr und rund um die Uhr über die Arbeiter verfügen und sie je nach Bedarf zur Arbeit rufen oder nach Hause schicken, ohne dass dies zusätzliche Kosten verursacht.
Sinkt der Fahrzeugabsatz bei BMW, kann der Konzern die Arbeiter tageweise beurlauben. Die Minusstunden gehen von dem stark erhöhten Arbeitszeitkonto ab. In absatzstarken Perioden soll die Belegschaft dafür deutlich mehr arbeiten. Eine Umstellung vom Zwei- auf den Dreischichtbetrieb ist damit ohne zusätzliche Einstellungen möglich. Auch Sonderschichten am Wochenende können zwangsweise angeordnet werden. Dafür gibt es Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto.
Die Erfolgsbeteiligung, die in diesem Jahr mit durchschnittlich 8.000 Euro relativ hoch ausfiel, wird nicht mehr ausgezahlt, sondern in Überstunden verrechnet und dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben.
Sollte das Arbeitszeitkonto nach den Zwangspausen keine Überstunden mehr aufweisen, können Urlaubstage angeordnet werden, um die Produktion zu drosseln oder zeitweise ganz zu stoppen – und zwar an bis zu 15 Tagen. Damit können die Arbeiter über die Hälfte ihres Jahresurlaubs nicht mehr frei verfügen, was vor allem für Familien mit Kindern problematisch ist. Sollten all diese Maßnahmen nicht greifen, kann der Betriebsrat immer noch Kurzarbeit zustimmen und wird das, wie er bereits angekündigt hat, auch tun.
Im Gegenzug sollen bis Ende 2013 rund 3.000 zusätzliche Arbeiter fest eingestellt und die Zahl der Leiharbeiter entsprechend verringert werden. BMW hat erklärt, dass nicht alle neu Eingestellten aus den Reihen der Leiharbeiter kommen werden.
Noch im Sommer hatten BMW und der Konzernbetriebsrat großspurig angekündigt, es würden bis zu 6.000 Leiharbeiter fest eingestellt. Die Leiharbeit werde halbiert. Konzernbetriebsratschef Manfred Schoch hatte zu dieser Zeit im Managermagazin behauptet: „In einem halben Jahr werden Sie sehen, dass wir ein tolles Modell geschaffen haben.“
Schon damals ergab aber ein genauerer Blick auf die Bedingungen, zu denen Arbeiter neu eingestellt wurden, ein anderes Bild, als es Betriebsräte und IG Metall zeichneten.
Die neu Eingestellten haben zum Beispiel kein Anrecht auf betriebliche Altersversorgung oder auf einen Jahreswagen. Denselben Lohn wie die fest angestellten Kollegen erhielten Leiharbeiter dagegen schon seit rund vier Jahren. Mit ihrer Einstellung spart sich BMW die Gebühren, die bisher die Verleihfirmen eingestrichen haben. Obendrein kann sich der Konzern die aus seiner Sicht Besten aus den 11.000 Leiharbeitern aussuchen. Ob die 3.000 Neueinstellungen auch die Beschäftigtenzahl erhöhen oder über die übliche Fluktuation wieder ausgeglichen werden, steht ebenfalls nicht fest.
Die Anstellung zusätzlicher Leiharbeiter schließt die jetzigen Vereinbarung nicht aus. Sie sollen noch flexibler eingesetzt werden als die Stammbelegschaft. Sie stehen künftig am Band, wenn die anderen Beschäftigten Pause machen oder Urlaub haben. Bei einer halben Stunde Pause pro Schicht kommen so fünf Stunden pro Woche zusammen, die es BMW ermöglichen, in einem einzigen Werk 15.000 zusätzliche Motoren pro Jahr herzustellen. Durch den gezielten Einsatz in Urlaubszeiten kann der Anteil der Leiharbeiter zeitweilig sogar von heute 17 Prozent auf über 30 Prozent ansteigen.
Hinzu kommt, dass die „Abkehr“ BMWs von der Leiharbeit durch eine erhöhte Auftragsvergabe über Werkverträge konterkariert wird. Allein bei BMW in Leipzig arbeiten insgesamt rund 30 Prozent der Belegschaft mit Werkvertrag. Diese rund 1.500 Arbeiter und Arbeiterinnen zählen weder zu den 2.800 Stammbeschäftigten noch zu den 1.100 Leiharbeitern. Ganze Abteilungen auf dem Werksgelände sind offiziell Subunternehmer mit Werkvertrag, obwohl sie teilweise sogar am Fließband stehen.
So vergibt BMW unter anderem Aufträge über Werkverträge an die Firma Rudolph Automotive Logistik. Deren Beschäftigte verdienen rund 900 Euro weniger als ihre Kollegen von BMW. Gab es bisher in den Betrieben ein Zweiklassensystem von Stammbelegschaften und Leiharbeitern, ist es durch die Werkvertragsnehmer zu einem Dreiklassensystem geworden.
Von einer Win-Win-Situation können daher nur IGM, Betriebsrat und Konzern sprechen, nicht aber die Arbeiter. Die neue Betriebsvereinbarung bedeutet eine betriebliche Effizienzsteigerung auf Kosten der Belegschaft.
Die Betriebsräte haben daraus nie einen Hehl gemacht. Gesamtbetriebsratschef Manfred Schoch hatte schon im Sommer im Managermagazins erklärt: „Beide Seiten, Betriebsrat und Unternehmen, hatten von Anfang an das gleiche Ziel.“ Gewerkschaft, Betriebsrat und Geschäftsleitung „wollten ein Modell finden, mit dem wir auch langfristig schwere Krisen überleben könnten, ohne dass wir in großem Umfang Personal abbauen müssen und tief in die roten Zahlen geraten“.
Diese verschworene Gemeinschaft aus Gewerkschaft, Betriebsrat und Konzernspitze wird in der kommenden Krise alle von BMW als notwendig erachteten Angriffe gegen die Belegschaften durchsetzen. Betriebsräte und Gewerkschaft fungieren dabei als Co-Manager, während sie den Beschäftigten diese Angriffe auch noch als „Erfolg“ verkaufen.