Die Großkonzerne nutzen die anhaltende Krise, um ihre Gewinne zu maximieren. Die Beschäftigten zahlen dafür mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit.
Innerhalb von acht Wochen sind allein im Duisburger Stahlwerk von Thyssenkrupp zwei schwere Arbeitsunfälle bekannt geworden. Mitte Oktober starb ein 26-jähriger Reinigungsarbeiter und gut ein Monat später wurde ein 23-jähriger Elektriker lebensgefährlich verletzt.
Der Elektriker wurde am 21. November gegen 20 Uhr im Warmbandwerk von einer tonnenschweren Brammenfähre am Hubbalkenofen zerquetscht. Er sollte im laufenden Betrieb eine Reparatur durchführen. Anders als vorgeschrieben war der junge Mann allein. Der Schichtkoordinator soll nicht gewusst haben, dass der Betriebsleiter ihn zu dieser Reparatur geschickt hatte.
Es ist daher unklar, wie lange der 23-Jährige mit schwersten Verletzungen an der Unfallstelle lag, bevor er entdeckt wurde. Über eine Woche kämpfte er um sein Leben. Inzwischen soll er sich auf dem Weg der Besserung befinden, aber er wird bleibende Schäden zurückbehalten.
Gut ein Monat zuvor war der junge Leiharbeiter Refat Süleyman unter bislang ungeklärten Umständen gestorben. Der 26-Jährige erstickte am 14. Oktober in einem Becken für Industrie-Abfälle, Schlamm und Schlacke, in dem er erst drei Tage nach seinem Verschwinden entdeckt wurde.
Die ermittelnde Polizei und der Betriebsrat erklären beide Fälle zu „tragischen Unglücksfällen“, für die niemand außer den Opfern selbst verantwortlich sei. Polizeisprecher Jonas Tepe erklärte zum Unglücksfall des jungen Elektrikers: „Ein Fremdverschulden können wir ausschließen.“ Das hatte die Polizei genauso voreilig und schnell beim Tod von Refat Süleyman getan. Mit anderen Worten: Die Opfer sind selbst schuld.
Das Gerede von „tragischen Unglücksfällen“, „menschlichem Versagen“ usw. soll das verantwortliche System und deren Nutznießer reinwaschen. Allein in diesem Jahr gab es bei Thyssenkrupp Stahl in Deutschland mindestens fünf tödliche Arbeitsunfälle sowie zusätzliche Unfälle mit zum Teil schwersten bleibenden Verletzungen.
Aber die Betroffenen sind für die tragischen Arbeitsunfälle im Stahlwerk nicht selbst verantwortlich. Schuld ist das System der Profitmaximierung um jeden Preis – auch um den Preis des Lebens der Beschäftigten. Um die Kosten zu drücken, werden beim Thyssenkrupp-Konzern seit Jahren Arbeitsplätze abgebaut.
Der Personalvorstand des Thyssenkrupp-Mutterkonzerns, der ehemalige nordrhein-westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhard, verkündete vor drei Wochen stolz, dass die „Restrukturierung“ fast abgeschlossen sei. Damit meint er, dass 10.000 von geplanten 13.000 Arbeitsplätzen inzwischen vernichtet sind. „Die für den Umbau notwendige Restrukturierungsphase lassen wir so langsam hinter uns und können uns auf fokussierte und ‚normale‘ Produktivitätssteigerungen konzentrieren“, kommentierte Burkhard.
Zu den Mitteln der Kostensenkung gehört auch der massenhafte Einsatz von günstigen Leiharbeitern, die schlecht ausgestattet und kaum angelernt vor allem Reinigungsarbeiten übernehmen, auch in gefährlichen Bereichen.
Refat Süleyman ist eines der Opfer dieses Systems. Er war einer von bis zu 4500 Leih- und Werkvertragsarbeitern, die neben den rund 13.000 Stammbeschäftigten täglich auf dem Areal des Duisburger Stahlwerks arbeiten, das fünfmal so groß ist wie das Fürstentum Monaco. Der Betriebsrat unterhält einen eigenen Ausschuss, der sich mit den so genannten „Fremdbeschäftigten“ („Eigen und Fremd“) befasst.
Gleichzeitig sollen weitere 1300 Jobs in Duisburg wegrationalisiert werden, vor allem im Angestelltenbereich. Im Werk hat der stete Arbeitsplatzabbau bei den Stahlarbeitern in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass nun Personal fehlt. Aktuell sucht das Duisburger Stammwerk 220 Stahlarbeiter.
Arbeiter berichten, dass aufgrund dieses Personalmangels immer wieder Anlagen und Öfen stillstehen. Dadurch gehen dem Konzern Millionen verloren. Umso höher ist der Druck auf die Beschäftigten, die Produktion aufrechtzuerhalten, koste es was es wolle. Es ist diesem Druck geschuldet, dass gefährliche Arbeiten und Reparaturen allein durchgeführt werden – mit tödlichen Konsequenzen.
Im Falle eines Produktionsausfalles ist der Druck auf die Reparatur-Arbeiter extrem, damit die Produktion so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden kann. Das war auch die größte Sorge der Betriebsverantwortlichen in der Nacht, in der der 23-jährige Elektriker mit dem Tode rang.
Man kennt dieses Verhalten aus den Knochenmühlen in den USA. Dort werden tödlich verunglückte Arbeiter notdürftig zugedeckt und beiseitegeschafft, damit die Kolleginnen und Kollegen weiterarbeiten können. Die WSWS berichtet immer wieder über derartige Todesfälle, zuletzt auch im Amazon-Lager in Leipzig.
Dieser mörderische Kurs in den Werken und Hallen führt zu Opfern unter den Arbeitern – und macht Aktionäre und Manager wie Burkhard, dessen Millionen-Vertrag erst kürzlich verlängert wurde, zu Profiteuren.
Dass die Hochöfen ohne Unterlass laufen sollen, ist dem aktuell hohen Stahlpreis geschuldet. Erst vor drei Wochen hatte die Thyssenkrupp AG mitgeteilt, dass sie ihren Gewinn im gerade beendeten Geschäftsjahr 2021/22 auf 1,2 Milliarden Euro steigern konnte, vor allem durch gestiegene Preise für Stahl. Der Umsatz legte um 21 Prozent auf 41,1 Milliarden Euro zu.
Die Gewinne sollen an die Aktionäre fließen, nicht an die Belegschaft. Erstmals seit vier Jahren wird Thyssenkrupp seinen Aktionären wieder eine Dividende zahlen. Eine außertarifliche Inflations-Sonderzahlung in Höhe von 3000 Euro für jeden Beschäftigten seiner Stahltochter lehnt der Konzern ab.
In Deutschland sind allein im letzten Jahr 510 Menschen auf der Arbeit tödlich verunglückt. Das ist der Preis, den die Beschäftigten für die Bereicherung der Aktionäre und Manager zahlen.
Die Gewerkschaften und Betriebsräte der großen Konzerne profitieren von diesem Geschäft. Entweder direkt, wie Oliver Burkhard, oder indirekt durch hohe Gehälter, Kündigungsschutz und Arbeitsbefreiung, wie Tausende Betriebsräte. In Sonntagsreden auf Betriebsversammlungen prangern sie die Arbeitshetze und deren Folgen an, die sie vorher und danach selbst mitorganisieren.
Ein Ende der mörderischen Ausbeutung ist nicht mit den Gewerkschaften und ihren Betriebsräten, sondern nur gegen sie durchzusetzen. Arbeiter, die den Stellenabbau und den Arbeitsdruck beenden und angemessene Löhne und Gehälter sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz erkämpfen wollen, müssen sich unabhängig in Aktionskomitees organisieren. Die WSWS unterstützt sie dabei. Meldet euch per WhatsApp unter +491633378340