95. Academy Awards: Im Westen nichts Neues, Tár und Triangle of Sadness nominiert

Am Dienstagmorgen gab die Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) die Nominierungen für die 95. Academy Awards (Oscar) bekannt. Die Preisverleihung für die 2022 veröffentlichten Filme findet am Sonntag, den 12. März, statt.

Bei den Nominierungen liegen die Filme Everything Everywhere All at Once mit elf  Nominierungen und Im Westen Nichts Neues sowie The Banshees of Inisherin mit je neun Nominierungen an vorderster Stelle. Tár wurde sechsmal nominiert, u.a. in den Kategorien „Bester Film“, „Beste Hauptdarstellerin“, „Beste Regie“ und „Bestes Drehbuch“. Triangle of Sadness, eine Satire über die Reichen und Berühmten, wurde als bester Film, beste Regie und bestes Drehbuch nominiert.

Edin Hasanovic, Albrecht Schuch und Felix Kammerer in Im Westen nichts Neues

Die Veranstaltung am Dienstag fand im Samuel Goldwyn Theater der Academy in Beverly Hills statt und wurde von den Schauspielern Riz Ahmed und Allison Williams moderiert; im Publikum saßen mehrere hundert Journalisten und Publizisten. Es war die erste derartige Veranstaltung mit Publikum seit 2016. In den letzten Jahren verhinderte auch die Corona-Pandemie die Durchführung.

Hollywood hat beschlossen, so zu tun, als sei die Pandemie vorbei – ganz wie alle offiziellen Einrichtungen in Amerika und gerade unter der Führung eines demokratischen Präsidenten im Weißen Haus.

Vielleicht aber zum eigenen Schaden. Laut mehreren Berichten war die Golden-Globes-Verleihung am 10. Januar ein Superspreader-Ereignis. Zahlreiche Teilnehmer haben sich mit dem Virus infiziert, darunter die bekannten Schauspieler Colin Farrell, Brendan Gleeson, Jamie Lee Curtis und Michelle Pfeiffer.

Dr. John Brownstein, ein Epidemiologe am Boston Children’s Hospital, erklärte gegenüber ABC News, die Golden-Globes-Verleihung sei „eine Art Vorgeschmack darauf, was uns in Zukunft bevorsteht“, und bemerkte, die Nachricht käme „nicht überraschend. ... Man veranstaltet Versammlungen in geschlossenen Räumen, zu einer Zeit, in der viele Viren zirkulieren – egal ob Erkältungs- oder Grippeviren, kein Abstand, keine Masken... damit bekommt man eine aktive Übertragung von Viren.“

Cate Blanchett in Tár

Die Erkrankungen von Farrell, Gleeson, Curtis und Pfeiffer wurden öffentlich, weil sie Auftritte beim 28. jährlichen Critics’ Choice Award am 15. Januar absagen mussten. Die Folge war, dass die Teilnehmer der Veranstaltung einen Covid-Test vorweisen mussten, der nicht älter als 72 Stunden sein durfte. Deadline wies darauf hin, dass Critics’ Choice mit diesem „ungewöhnlichen Schritt eine der ersten großen Preisverleihungen des Jahres 2023 ist, die diese Maßnahme verlangte“.

Der Hollywood Reporter (THR) erklärte dazu, dass die Oscar-Nominierungs-Zeremonie am Dienstag „im Gegensatz zu einigen der jüngeren Preisverleihungen keine Covid-Tests der Gäste und keinen Impfnachweis verlangte, dass aber einige Teilnehmer freiwillig Masken trugen“.

Wie immer spiegeln die Nominierungen selbst die verschiedenen Zwänge und Impulse wider, die in der Filmindustrie und den mit ihr verbundenen wohlhabenden Gesellschaftsschichten existieren.

Woody Harrelson in Triangle of Sadness

In einer Zeit, in der das politische Establishment der USA, allen voran die Biden-Regierung, alles in ihrer Macht Stehende tut, um einen offenen Krieg gegen Russland mit potenziell unabsehbaren Konsequenzen zu provozieren, wurde Edgar Bergers entschiedener Antikriegsfilm Im Westen nichts Neues in mehreren Kategorien nominiert. Das hat eine gewisse Bedeutung. Die Schrecken des Kriegs sind in den Köpfen vieler Menschen nach Jahrzehnten unablässiger, blutiger US-Militäroperationen auf der ganzen Welt zweifellos und zu Recht verankert.

Gleichzeitig erhielt der Kassenschlager Top Gun: Maverick – ein „ekelhafter, leerer Film, der vom US-Militär in Auftrag gegeben wurde, um ihre Kriegsmaschinerie zu verherrlichen“, wie die WSWS bereits schrieb – sechs Nominierungen, u.a. in der Kategorie „Bester Film“.

Tár und Triangle of Sadness sind auf recht unterschiedliche Art und Weise ernsthafte Werke, die der korrupten und korrumpierenden Promi-Kultur den Spiegel vorhalten. Ebenfalls nominiert als „Bester Film“ wurden Avatar: The Way of Water, Elvisund Top Gun: Maverick, die auf ihre Weise Produkte einer leeren, oberflächlichen Popkultur sind.

Identitätspolitik ist heutzutage in den Köpfen der führenden Hollywood-Figuren immer präsent, auch wenn die #OscarsSoWhite-Kampagne, die 2015–16 begann, dank der Auszeichnungen zahlreicher afroamerikanischer, lateinamerikanischer, asiatischer und anderen Minderheiten angehöriger Schauspieler und Regisseure in den letzten Jahren etwas nachgelassen hat.

Der Hollywood Reporter stellte dazu fest: „Die Academy kann argumentieren, dass ihre konzertierten Bemühungen... die Diversität ihrer Mitglieder zu erhöhen, um eine vielseitigere Gruppe von Nominierten zu schaffen, Ergebnisse gezeitigt haben.“ Die meisten Nominierungen erhielt der nette Fantasy/Science-Fiction-Film Everything Everywhere, der von einer asiatischen Familie handelt. „Unter den elf Nominierungen sind vier für den besten Schauspieler, drei davon für Frauen und drei für Menschen asiatischer Herkunft.“

Zudem wies THR stolz auf die Tatsache hin, dass „sieben der 20 nominierten Schauspieler nicht weiß sind: [Michelle] Yeoh [Everything Everywhere], die als erste Frau, die sich als Asiatin identifiziert, als beste Schauspielerin nominiert ist, und ihre Co-Stars [Ke Huy] Quan und [Stephanie] Hsu, außerdem [Ana] de Armas, die erste Kubanerin, die jemals für einen Hauptdarsteller-Oscar nominiert wurde [Blonde] und [Bryan Tyree] Henry [Causeway], [Angela] Bassett [Black Panther: Wakanda Forever] sowie [Hong] Chau [The Whale].“

Heutzutage macht niemand mehr einen Hehl aus der Tatsache, dass de facto Race- und Gender-Quoten in Kraft sind. Ebenso wenig wird der Anschein erweckt oder sich darum gesorgt, dass die so sehr gewünschte „Diversität“ positive künstlerische oder soziale Auswirkungen auf das Filmschaffen hat oder haben könnte. Eine solche Frage wird gar nicht diskutiert.

Der Hollywood Reporter merkt nur an, dass gewisse Leute „verärgert sind, dass unter den fünf Nominierungen für die Kategorie ,beste Regie‘ keine Frauen sind... dass nur bei einem Film in der Kategorie ,bester Film‘ eine Frau Regie geführt hat [Sarah Polley für Die Aussprache]“ und dass beispielsweise Gina Prince-Bythewoods The Woman King und Maria Schraders She Said „nicht in einer einzigen Kategorie nominiert wurden“. Die Möglichkeit, dass die beiden letzteren Filme grauenhaft waren und keine Auszeichnung verdienen, wird diskret verschwiegen.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass Geld eine weitere Obsession Hollywoods ist. Tatsächlich ist es die Obsession, die alle anderen antreibt. Die Pandemie und die Probleme für den Filmverleih und die gesamte Branche haben die jüngsten Trends noch verschärft. Die Filmbranche lebt und stirbt mehr und mehr durch das Schicksal einer Handvoll Blockbuster.

In diesem Zusammenhang berichteten die Medien am Montag eifrig, dass James Camerons Avatar: The Way of Water, ein langweiliges und banales Werk, „der bisher sechste Film ist, der weltweit mehr als zwei Milliarden Dollar eingespielt hat. Es ist außerdem der dritte Film Camerons, der diese Marke erreicht, nach Titanic und dem ersten Avatar.“ (Deadline) Laut der gleichen Quelle ist „Way of Water“ auf den ausländischen Märkten die Nummer vier der erfolgreichsten Filme aller Zeiten geworden, hat Avengers: Infinity War verdrängt und liegt nur noch hinter Avatar, Avengers: Endgame und Titanic. Damit kann Cameron drei der vier international erfolgreichsten Filme für sich beanspruchen.“ Das alles zeigt nur, dass die heutige kulturelle Krise von globaler Tragweite ist.

Camerons Film ist einer der relativ wenigen „Lichtblicke“ in einer allgemein problembeladenen Filmwelt. Variety weist darauf hin, dass die Nominierungen am Dienstag „in einer für die Academy of Motion Picture Arts & Sciences... und die gesamte Filmbranche herausfordernden Zeit angekündigt wurden. Die Einschaltquoten für die Oscar-Verleihung sind in den letzten Jahren rapide zurückgegangen, was die Lizenzgebühren der Sendung gefährdet, die die Haupteinnahmequelle der Academy sind.“

Zudem haben „auf Erwachsene orientierte Filme“, wie das Magazin sie nennt, „während der Pandemie in den Kinos zu kämpfen“. Erschwerend kommt hinzu, dass die Streaming-Dienste, die „geholfen haben, die durch den Rückgang der Kinoeinnahmen entstandene Lücke zu füllen, indem sie den Künstlern ein Podium (und einen Blankoscheck) geboten haben, ihre Prioritäten verlagern“. Während das unabhängige Filmschaffen eine Zeitlang auf Plattformen wie Netflix ein Zuhause gefunden hat, erklärt Variety, dass der Video-on Demand-Streamingdienst und die Produktionsfirma „der Wall Street signalisiert haben, dass sie die Ausgaben für Content relativ flach halten und sich auf die Steigerung der Profite konzentrieren werden“.

Die Oscar-Nominierungen wurden in Beverly Hills bekannt gegeben, einem der teuersten Gegenden des Landes, unmittelbar nachdem bei mehreren Massenschießereien in Kalifornien Dutzende Menschen getötet wurden. 

Die USA werden von sozialen Widersprüchen zerrissen, die weder technische Raffinesse und Bombast, noch lächelnde Selbstzufriedenheit und Selbstbeweihräucherung in Schach halten oder verbergen können. Der Krieg, die Pandemie, die Gefahr des Faschismus – nichts davon beeindruckt in spürbarer Weise die betuchten Funktionäre der Filmbranche, die am Dienstag ihren Geschäften nachgingen. Doch tief unter der Oberfläche, sowohl unter Schauspielern, Drehbuchschreibern, Regisseuren sowie Crew-Mitgliedern und natürlich noch viel mehr in der Bevölkerung, herrscht etwas ganz anderes: tiefe, explosive Beunruhigung und Wut.

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