Österreich: ÖVP, SPÖ und Neos beginnen Koalitionsverhandlungen

Rund zwei Monate nach den Parlamentswahlen in Österreich kündigten die rechts-konservative Volkspartei, die Sozialdemokraten und die rechts-liberalen Neos die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen an. Aus den Wahlen im September war die rechtsextreme Freiheitliche Partei (FPÖ) als stärkste Kraft hervorgegangen.

Österreichischer Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) [AP Photo/Jordan Pettitt]

Im Vergleich zur Wahl 2019 gewann die FPÖ rund 13 Prozentpunkte hinzu, während die ÖVP, die zuvor mit den Grünen regiert hatte, fast ebenso viel einbüßte. Auch die SPÖ konnte aus ihrer Oppositionsrolle keinen Nutzen ziehen und verlor einen halben Prozentpunkt gegenüber der letzten Wahl. Da ÖVP und SPÖ eine Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene ablehnten, beauftragte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die ÖVP mit der Regierungsbildung.

Sollte diese so genannte „Zuckerl-Koalition“ zustande kommen, wäre das in keiner Weise eine progressive Alternative zu einer Regierung unter Beteiligung der FPÖ. Die Parteien würden sich auf ein extrem rechtes Programm einigen, das die wesentlichen Forderungen der FPÖ beinhaltet, und damit die extreme Rechte weiter stärken.

Die Koalition wäre das erste Dreier-Bündnis in Österreich seit 1947. Die Chefs der drei Parteien betonten, das angestrebte Bündnis sei keine Notlösung. „Wir haben die Weichen gestellt, dass wir zusammenarbeiten, weil wir wollen, nicht weil wir müssen“, so Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Ein Bündnis aus ÖVP und SPÖ käme auch ohne die Neos auf eine knappe Mehrheit von 93 Sitzen im Nationalrat.

Die Neos sollen in der Koalition vor allem die Rolle des rechten Einpeitschers übernehmen. Ihre schmale Basis hat die Partei unter besser gestellten Mittelschichten in den Städten, denen Sozialleistungen ein Dorn im Auge sind und die einem aggressiven EU-Militarismus das Wort reden.

Obwohl es in Detailfragen unterschiedliche Ansichten gibt, sind sich die Parteien über die generelle Ausrichtung eines Regierungsprogramms einig. Radikale Kürzungen im Haushalt, Aufrüstung nach innen und außen und Intensivierung der restriktiven Flüchtlingspolitik sollen die Kernpunkte der Regierungspolitik sein.

ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer verwies auf die Wahl von Donald Trump in den USA und den Zusammenbruch der Ampel-Koalition in Deutschland. Er rechtfertigte damit die Notwendigkeit für ein breites Bündnis, um unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen. Meinl-Reisinger erklärte, es werde kein „weiter wie bisher“ geben.

Laut Nehammer soll die „Ausgabenbremse“ im Zentrum der Koalitionsvereinbarung stehen. Das Finanzministerium hatte Anfang Oktober seine Defizitprognose für 2024 auf 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht, womit es über der Maastricht-Grenze von drei Prozent liegt. Die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS rechneten zuletzt sogar mit einem Defizit von 3,7 bzw. 3,5 Prozent.

Vertreter der drei Parteien haben bereits die Bereiche Rente, Gesundheit und Bildung ins Visier genommen, um die geplanten Kürzungen umzusetzen. Vor allem in der Rentenpolitik soll es heftige Angriffe geben. Die Neos fordern die Anhebung des Renteneintrittsalters auf bis zu 69 Jahre. Wer früher in Rente geht, muss mit empfindlichen Abschlägen rechnen. Gleichzeitig kündigte die Partei an, mit „Luxusrenten“ Schluss machen zu wollen.

Es handelt sich um eine Politik für die Konzerne und Reichen. Um die „Wettbewerbsfähigkeit“ und den Standort Österreich zu fördern, sollen Steuererhöhungen ausgeschlossen und Unternehmenssteuern, wie die Körperschaftssteuer und die Maschinensteuer, gesenkt bzw. abgeschafft werden.

Beim Thema Migration unterscheiden sich die Standpunkte der möglichen Regierungsparteien kaum von denen der FPÖ. Die restriktive Politik der Vorgängerregierung von ÖVP und Grünen soll fortgeführt und verschärft werden. Alle drei Parteien fordern einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen gegen Migranten sowie schnellere Asylverfahren und Abschiebungen. Die ÖVP tritt für eine fünfjährige Wartefrist bei Sozialleistungen und die Abschaffung des Familiennachzugs für Migranten ein. Alle Parteien wollen die Verleihung der Staatsbürgerschaft an höhere Hürden knüpfen.

In der Außen- und Sicherheitspolitik stehen die drei Parteien für massive Aufrüstung. ÖVP, SPÖ und Neos unterstützen die NATO-Kriegsoffensive gegen Russland und Israels Genozid an den Palästinensern im Gazastreifen vorbehaltlos.

So fordern alle Parteien die personelle und materielle Aufstockung des Bundesheers, wobei die Neos am aggressivsten auftreten. Während SPÖ und ÖVP, zumindest formal, an der Neutralität Österreichs festhalten, fordern die Neos ein Ende des „Trittbrettfahrer-Daseins“. Österreich müsse Teil einer „integrierten, europäischen Verteidigung“ sein. Dabei müsse das Bundesheer auch im Inneren eingesetzt werden können.

Darüber hinaus sollen die Sicherheitsbehörden mit weiteren Befugnissen ausgestattet werden. So tritt die ÖVP vehement für die Überwachung von Messenger-Diensten ein. Die Neos fordern eine Stärkung des von Skandalen geschüttelten und notorisch rechtsgerichteten Verfassungsschutzes.

Auch wenn es zu einer Koalition ohne die FPÖ kommt, ist deren Einfluss nach ihrem Wahlsieg weiter gewachsen. Die Partei sitzt an immer mehr Schalthebeln der Macht und steht erstmals an der Spitze des österreichischen Parlaments. Als Nationalratspräsident bekleidet Walter Rosenkranz das nominell zweithöchste Amt im Staat nach dem Bundespräsidenten.

100 der 183 Abgeordneten stimmten in geheimer Wahl für Rosenkranz. Die FPÖ verfügt selbst nur über 57 Mandate, was bedeutet, dass er mindestens 43 Stimmen aus anderen Fraktionen erhielt. Lediglich die Grünen erklärten, geschlossen gegen Rosenkranz gestimmt zu haben.

Dabei ist die politische Gesinnung des langjährigen FPÖ-Politikers hinlänglich bekannt. Er schrieb mehrmals Beiträge für die rechtsextreme Zeitschrift Aula. Seit 1981 ist er Mitglied der deutsch-nationalen Burschenschaft Libertas. Diese hatte 1878 als erste im deutschsprachigen Raum einen sogenannten „Arierparagraphen“ eingeführt, der die Aufnahme von Juden ausschloss.

Im Jahr 2009 hatte Rosenkranz mehrere Nationalsozialisten als „Leistungsträger“ bezeichnet. Darunter Johann Karl Stich, der als Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht Wien noch im April 1945 mehr als 40 politische Häftlinge erschießen ließ.

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt gab Rosenkranz dem rechtsextremen Sender AUF1 ein Interview. Dessen Akteure kommen aus offen nationalsozialistischen und faschistischen Gruppierungen. Selbst der notorisch rechte österreichische Verfassungsschutz stuft den Sender als rechtsextrem ein.

Es ist ein Hohn auf die Opfer des Nationalsozialismus, dass Rosenkranz in seiner Eigenschaft als Nationalratspräsident nun auch den Vorsitz im „Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“ innehat.

Auch auf Landesebene werden die Rechtsextremen immer stärker eingebunden. Während im Bund die Sondierungsgespräche liefen, einigten sich ÖVP und FPÖ in Vorarlberg auf eine Koalition. Nur 23 Tag nach der Landtagswahl legte die Regierung ein Programm vor, welches nahezu sämtliche Forderungen der FPÖ enthält.

So wurde u.a. der „Vorarlberg Kodex“ verschärft, der bereits unter der Vorgängerregierung aus ÖVP und Grünen eingeführt worden war. Demnach sollen Asylbewerber „freiwillig“ Deutschkurse besuchen und gemeinnützige Arbeit leisten. Dies konnten die Betroffenen bislang auch ablehnen. Nun drohen bei Ablehnung empfindliche Sanktionen, z.B. die Kürzung der ohnehin niedrigen Unterstützungsgelder. Die FPÖ übernimmt das Ministerium für Inneres und Sicherheit und ist damit direkt für die Polizei, den Inlandsgeheimdienst und auch für den Bereich Integration zuständig.

Damit ist die FPÖ mittlerweile in vier der neun Bundesländer in die Regierung integriert. Für die Landtagswahlen in der Steiermark am kommenden Sonntag wird den Rechtsextremen ein weiterer Wahlerfolg prognostiziert.

Loading