Bei der diesjährigen Berlinale widmeten sich mit „Heldin“ und der Dokumentation „Palliativstation“ zwei Filme der aktuellen Situation in Krankenhäusern. Für das brennende Publikumsinteresse sprachen die ausverkauften Festival-Vorstellungen. Bei einer Länge von vier Stunden bei „Palliativstation“ ist das besonders bemerkenswert.
Spätestens die Corona-Pandemie führte vor Augen, was passiert, wenn Krankenhäuser unvorbereitet und überlastet sind. Unter solch extremen Verhältnissen kommt es unweigerlich zur Triage, das heißt, dass Ärzte wegen zu geringer Kapazitäten zu der Entscheidung gezwungen werden, welche Patienten gerettet werden sollen und welche nicht. Die Filme machen deutlich, dass dies nicht nur unter Extrembedingungen wie einer Pandemie passieren kann.
Palliativstation
Der Dokumentarfilm von Philipp Döring, im Berliner Franziskus-Krankenhaus gedreht, lässt die Zeit förmlich stehen. Die Kamera beobachtet ruhig Tagesabläufe, Beratungen des Personals, die stetige Einfühlsamkeit des Stationsleiters gegenüber Mitarbeitern und den schwerkranken Patienten, die hier in der Regel ihre letzten Lebenswochen verbringen.
Die sehr ruhigen, immer dezenten Bilder unterstreichen die Notwendigkeit von Zeit für Zuwendung und für Besonnenheit bei lebenswichtigen Entscheidungen. Ist eine OP sinnvoll, wenn der Patient geschwächt ist oder eine Chemotherapie? Wie kann die höchstmögliche Lebensqualität erreicht werden? Der hohe ethische Anspruch, dem unheilbaren Patienten bis zum Ende als einem aktiven Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, der Entscheidungen trifft, während der Arzt Empfehlungen ausspricht, ist bewundernswert und beeindruckt während des ganzen Films.
Bis zu einer Personalbesprechung hat man den Eindruck eines Idealkrankenhauses und fragt sich sogar: Wäre es nicht schön, wenn diese Behutsamkeit und dieser Respekt vor jedem Leben zum normalen Umgang in der eigenen täglichen Arbeit gehörten, anstelle von Stress, Hetze, Ungeduld, und nicht erst in den letzten Lebenswochen? Aber auch die Palliativstation ist keine grüne Oase.
Die Ruhe täusche, sagt ein Mitarbeiter. Während der Arbeitsberatung kommen Dinge zur Sprache, die den Zuschauer schockieren. Die erhöhte Anzahl der Betten kann nicht bewältigt werden. Geleaste Arbeitskräfte, so werden Leiharbeiter hier genannt, sind für die speziellen Anforderungen der Abteilung teilweise nicht geeignet. Dem palliativen Gedanken (das fortschrittliche Konzept kam Ende der 70er Jahre aus den USA), so der Vorwurf eines Mitarbeiters, könne schon seit geraumer Zeit nicht mehr richtig entsprochen werden. Die Qualität der Arbeit sei ernsthaft in Gefahr.
Die kleine Büro-Szene von wenigen Minuten bleibt in der weiteren langen Zeit des Films wie ein Stachel im Kopf stecken, während geduldige Gespräche mit Patienten und Angehörigen weiter stattfinden, sachliche Personalgespräche, Aufgabenverteilungen, Tagespläne. Man spürt im zweiten Teil des Film, auf welch dünnem Eis sich das Personal bewegt und fragt sich besorgt: Was ist, wenn der Druck zunimmt, und ab wann führt stetiger Mangel dazu, den Wert von Leben verschieden zu bemessen?
Heldin
Der Film von Petra Volpe, der im Berlinale Special am 17. Februar Weltpremiere feierte, läuft seit dem 27. Februar in den Kinos und hält, was der Titel des Films scheinbar verspricht. Er versetzt uns in die Welt einer „Heldin“, einer alltäglichen, aber nicht minder übermenschlichen Leistung. Gemeint ist die Spätschicht einer Pflegefachfrau im Krankenhaus Basel auf der Chirurgiestation. Floria Lind, gespielt von Leonie Benesch, kommt eigentlich frisch erholt aus dem Urlaub zurück. Doch in kürzester Zeit ist sie nicht nur wieder auf höchstem Stresslevel, sondern sogar am Abgrund.
Floria beginnt ihren Dienst motiviert, zugewandt und herzlich. Und bildet damit gleich zu Beginn den Kontrast zu der älteren und etwas zynischeren Kollegin Bea Schmid, gespielt von Sonja Riesen. Die beiden müssen allein die gesamte Station betreuen, mit 25 Patienten und damit fast voller Belegung. Die einzige dritte Person ist die Auszubildende Amelie, die von Bea jedoch eher als Ärgernis und Störfaktor bewertet wird. Floria kritisiert das, wird jedoch im Laufe des Dienstes selbst Amelie für ihre angebliche Langsamkeit angreifen. Tatsächlich gibt es einfach zu wenige Hände für zu viele Probleme.
Der Film begleitet Floria auf Schritt und Tritt. Er zeigt eindrucksvoll, wie bei diesem Vollprofi jeder Handgriff sitzt. Routiniert nimmt sie Vitalwerte, sucht Medikamente heraus, koordiniert am Diensttelefon die Verlegungen von oder zum OP-Raum, vertröstet Patienten oder Angehörige und dokumentiert, dokumentiert, dokumentiert. Neben Desinfektionsmittel und Einweghandschuhen ist der Kugelschreiber eines ihrer Standardwerkzeuge.
Floria scheint zerrissen zu werden, muss von einem zum anderen Patienten hetzen, aus ihrer Patientenvisite reißt sie immer wieder das Klingeln, mal das ihres Diensttelefons und mal das eines anderen Patienten, der Hilfe braucht. Floria scheint eine Dirigentin des Chaos zu sein und löst alles unaufgeregt. Doch es dauert nicht lange, da bekommt die routinierte Perfektion den ersten Riss. Sie verteilt gerade Schmerzmittel an zwei Patienten, die frisch aus der OP auf ihre Station verlegt wurden. Wieder mal klingelt das Diensttelefon, und da passiert es. Floria vertauscht die Schmerzmittel, und aufgrund einer Unverträglichkeit bekommt einer der Patienten eine allergische Reaktion.
Die herbeigerufene, diensthabende Ärztin kann mit einem Gegenmittel die Lage problemlos entschärfen. Doch es ist nur der Auftakt zu einer negativen Spirale. Gespickt mit Überforderung, Verbitterung, Wut und Selbstzweifel, endet sie in ihrem nervlichen Zusammenbruch nach dem Tod einer Patientin -- eine Patientin, der sie in all der Zeit noch nicht einmal einen ersten Routinebesuch abstatten konnte.
Volpes Film gelingt es, mit normalen, alltäglichen Patienten und Abläufen eines Krankenhauses eine für Floria toxische Mischung zu kreieren. Dadurch versetzt er den Zuschauer in die für das Gesundheitswesen so typische Normalität am Abgrund.
Er warnt auch vor dem Entstehen von Grauzonen. Floria schickt Amelie, die bereits versäumte, den Wagen der Schwester vollständig aufzufüllen, hin und her, um dieses und jenes tun zu lassen, was sie gerade selbst nicht schafft. Wann wird Amelie vielleicht im Stress dazu angehalten, etwas zu tun, was sie aus gutem Grund noch nicht darf?
Unter diesen Bedingungen werden zudem Spannungen innerhalb des Klinikpersonals provoziert. Dies zeigt eine ambivalente Szene mit einer Ärztin, die nach einem acht Stunden langen OP-Marathon Feierabend hat und sich weigert, als Floria sie auffordert, einem Patienten den überfälligen Befund mitzuteilen. Das Verhalten des schwerkranken, psychisch labilen Patienten, der schwer enttäuscht aus dem Krankenhaus flüchtet, scheint der um ihn besorgten Schwester Recht zu geben. Hätte sich die Ärztin diese zehn Minuten ausnahmsweise nehmen müssen oder war sie eigentlich im Recht. Doch die Frage stellt sich so überhaupt nicht. Hier kippt der Film ins Oberflächliche. Den zunehmenden Ärztemangel lässt Volpes Film außen vor.
Anschaulich baut der Film den Aspekt der Zwei-Klassenmedizin ein. Der einzige Privatpatient ist für Floria der mit Abstand nervigste und kostet sie mehr Nerven als die senile Frau Kuhn, die nicht weiß, wo sie ist und sich nur durch das Singen eines Kinderliedes beruhigen lässt.
Spätestens in der Szene, in der Floria die Uhr des Privatpatienten, mit der er pedantisch misst, wie lange sie für den Tee brauchte, wütend aus dem Fenster wirft, hat sie die Sympathie des Publikums. Doch gleich folgt der Schock, und sie wird für ihr unprofessionelles Verhalten bestraft: Die Uhr ist 40.000 Franken wert und zunächst nicht wieder aufzufinden. Eine reale Krankenschwester darf so nicht ausrasten.
Die Schweizer Regisseurin ließ sich für den Film vom Buch einer Berliner Krankenpflegerin inspirieren („Unser Beruf ist nicht das Problem. Es sind die Umstände“ von Madeline Winter).
„Heldin“ ist eine aufwühlende Hommage an einen wichtigen Teil der arbeitenden Klasse, der seine Arbeit trotz widriger Umstände ernst nimmt und engagiert für Leben und Gesundheit der Patienten eintritt – wahre „Helden“ eben.
Er zeigt dramatisch die Folgen der massiven Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem, des Personalmangels, der Privatisierung und Etablierung eines Zweiklassensystems – jedoch ohne sie grundlegend in Frage zu stellen.
„Eine Gesellschaft spart mit guter Pflege“, erklärt Volpe im Interview mit der Rheinischen Post. „Das einzelne Spital hat dann vielleicht nicht so viel Profit, aber volkswirtschaftlich gesehen macht es Sinn, genug Pflegefachkräfte zu haben.“
Auch Volpes feministische Äußerungen in der Presse über weibliche Pflegekräfte und männliche Ärzte lenken vom Ausmaß und den Ursachen der Krise im Gesundheitswesen ab. Glücklicherweise fanden sie keinen Eingang in den Film.
Am Ende von „Heldin“ werden Texte eingeblendet, die davor warnen, dass im Jahr 2030 Zehntausende Pflegekräfte in der Schweiz, Hunderttausende in Deutschland und weltweit etliche Millionen fehlen werden, laut WHO rund 18 Millionen.
Der Kontrast zwischen den „Heldinnen“ im Krankenhaus und der offiziellen Politik ist augenfällig. Nicht die Gesundheit haben die Regierungen im Blick, sondern die „Kosteneffizienz“. Sie setzen ihre Politik seit der Corona-Pandemie, in der Profit vor Leben gilt, rücksichtslos fort.