Russische Taxifahrer im Streik

Letzte Woche streikten Taxifahrer in ganz Russland, um gegen niedrige Einkommen zu protestieren. Hunderte von ihnen, wenn nicht mehr, parkten ihre Fahrzeuge und weigerten sich, am Dienstagabend während der Stoßzeit Anrufe entgegenzunehmen. In Woronesch, Prokopjewsk, Surgut, Kaliningrad, Ufa, Jekaterinburg, Tjumen und Moskau kam es laut den dortigen Medien zu Streikaktionen. Einen Tag später traten auch die Taxifahrer in Nowokusnezk kurzzeitig in den Ausstand. In Nowosibirsk erklärten die Arbeiter am Freitag, sie würden während der abendlichen Stoßzeit nicht fahren.

Zuvor hatte eine Gruppe von Fahrern im südsibirischen Prokopjewsk einen Streikaufruf herausgegeben, der sich dann in den sozialen Medien verbreitete. In Jekaterinburg hängten die Fahrer den Aufruf in ihren Fahrzeugen aus.

In ihrer Erklärung verurteilen sie Yandex, eines der größten Online-Unternehmen des Landes, dessen Wert von Statista im Januar auf 12,5 Milliarden Dollar geschätzt wurde. Die Streikenden erklärten, die Fahrpreise würden nicht einmal die Kosten für die Instandhaltung ihrer Autos decken, geschweige denn andere Ausgaben: „Die Preise steigen immer weiter – für Autos um 30 bis 40 Prozent, für Ersatzteile um 60 bis 70 Prozent, für Mieten um etwa 20 Prozent, für Benzinpreise um 20 Prozent, Nahrungsmittel und Kleidung steigen endlos.“

Ein Taxifahrer aus Woronesch, das knapp 3.700 Kilometer westlich von Prokopjewsk liegt, wo als erstes zum Streik aufgerufen wurde, erklärte am 14. Januar in einem Interview mit Moyo! Online: „Die Preise steigen jeden Tag! Für die Automiete – zahlen, für Benzin – zahlen, für Steuern – zahlen. Letzten Endes verdienen alle außer dem Fahrer Geld. Das führt dazu, dass wir die Fahrgäste umsonst fahren. Das ist keine Arbeit, sondern Wohltätigkeit.“

In Jekaterinburg äußerte ein weiterer streikender Taxifahrer gegenüber der Online-Zeitung Realnij Tagil die gleichen Ansichten: „Das Einkommen reicht nicht, um die Ausgaben für Wartung, Benzin und Autowäsche zu zahlen. Das Benzin kostet etwa 60.000 Rubel, die technische Wartung etwa 30.000. Die Fahrzeugmiete liegt bei 90.000 Rubel. Alles zusammen bleiben dem Fahrer 30.000 bis 50.000 Rubel.“ Das sind zwischen 280 und 470 Euro pro Monat.

Ein anderer Arbeiter aus der gleichen Stadt erklärte gegenüber E1.ru, die Fahrpreise würden seit Dezember sinken. Er habe am Tag vor dem Interview für 25 Fahrten ganze 3000 Rubel eingenommen, d. h. etwa 28 Euro. Um sein wöchentliches Einkommen aufrechtzuerhalten, müsse er auch am Wochenende durcharbeiten. Im Januar hätte er 35 Fahrten mehr als im November machen müssen, um die gleiche Summe zu verdienen.

Die Taxifahrer protestieren auch gegen die schleppende Bearbeitung der Lizenzen durch die Behörden aufgrund von „absurden Maßnahmen“, wie es die Fahrer in Woronesch formulierten. Die städtischen Behörden gaben vor der Presse zu, dass derzeit über 500 solcher Anträge bei ihnen zur Bearbeitung vorliegen.

In St. Petersburg wurde soeben 1000 Fahrern ihre Fahrerlaubnis entzogen, weil sie die vorgeschriebene Versicherung für Fahrgäste nicht nachweisen konnten. Die Vorstellung, dass den Behörden oder den Taxiunternehmern die Sicherheit und das Wohlergehen der Taxifahrgäste wichtig sind, ist absurd. In Russland gibt es jeden Tag Hunderte von Todesfällen aufgrund miserabler Arbeits- und Lebensbedingungen.

In Wirklichkeit sollen diese gesetzlichen Maßnahmen, die Druck auf Taxifahrer ausüben, russischen Nationalismus und den Hass auf „Ausländer“ schüren, da viele der Fahrer aus Zentralasien stammen. Die Menschen aus den zentralasiatischen Ländern, die früher zum Russischen Reich bzw. der Sowjetunion gehörten, werden nun als gefährliche „Einwanderer“ und „Illegale“ verunglimpft, die das „Vaterland“ bedrohen. Dabei ist ihre Geschichte und Kultur seit Jahrhunderten für die russische Entwicklung ebenso wichtig wie die der dominierenden Bevölkerungsgruppe der Slawen. Zentralasiaten sind im grundlegenden Sinn genauso „russisch“ wie alle anderen Menschen aus der Region und haben das gleiche Recht, sich auf dem von Moskau kontrollierten Staatsgebiet aufzuhalten, wie andere, die offiziell als Bürger anerkannt sind.

Ein Vertreter von Yandex erklärte in einem Interview mit Moyo! Online auf die Frage nach dem Taxifahrerstreik, es habe in Woronesch am Dienstagabend keine Aktionen gegeben; die Taxifahrer würden so viel verdienen wie im letzten Jahr; die Höhe der Fahrpreise habe sich im Vergleich zum Vorjahr nicht geändert und die Zahl der Fahrer auf den Straßen sei gestiegen.

Wladimir Gerasimenko, ein Experte für das Taxigewerbe, bezeichnete die Unternehmen in einem Interview mit Federal Press als Monopolisten. Er wies darauf hin, dass sie nicht nur die Fahrer unter Druck setzen, sondern auch ihre Marktposition nutzen, um die Fahrpreise für die Fahrgäste in die Höhe zu treiben. Die Unternehmen sorgen zu Spitzenzeiten für einen Mangel an Fahrern, weigern sich, Fahrtwünsche an bereitstehende Beschäftigte weiterzugeben und warten dann, bis die Nachfrage die Preise noch weiter in die Höhe treibt.

Er erklärte weiter, die Taxifahrer würden sich normalerweise nicht trauen, Proteste zu organisieren, weil die Monopolisten sonst als Vergeltungsmaßnahme entweder ihre Fahrpreise noch weiter senken oder ihre Verträge ganz kündigen würden.

Dennoch gibt es seit einigen Jahren immer wieder kleine, aber weit verbreitete Streiks der russischen Taxifahrer. Im Dezember riefen die Taxifahrer im westsibirischen Tjumen, nicht weit vom Uralgebirge, zu einem „Online-Streik“ auf und erklärten, sie bereiteten eine Liste von Forderungen an Yandex vor. Daraufhin erklärten ihre Kollegen in Chanty-Mansiysk, 660 Kilometer nördlich, ihre Unterstützung. In der autonomen Region Jamalo-Nenez, die weitere 1.020 Kilometer in Richtung Polarkreis liegt, taten sie das Gleiche.

Die Bedingungen, mit denen die Taxifahrer konfrontiert sind, spiegeln die Realität der Arbeiterklasse in Russland insgesamt wider. Steigende Preise zehren an ihrem Einkommen. Während die Gesamtinflation in Russland im vergangenen Jahr offiziell bei 9,4 Prozent lag, übertrafen die steigenden Kosten für alltägliche Dinge diese Zahl um ein Vielfaches.

Die Zeitung Nesawissimaja Gaseta berichtete Ende Dezember, dass sich der Preis für Kartoffeln, ein Grundnahrungsmittel in Russland, im Laufe des Jahres 2024 verdoppelt hat. Sie stellte fest, dass die Preise für Zwiebeln, Kohl, Butter, Rüben, Gurken, Lammfleisch, Äpfel, Tiefkühlfisch und Sauerrahm im vergangenen Jahr um 20 bis 50 Prozent gestiegen sind.

Laut einem weiteren Artikel der gleichen Zeitung vom 8. Januar mit dem Titel „In Russland gibt es noch immer große Ausbeutung von Arbeitern“ hat sich trotz eines Anstiegs der Löhne in der jüngeren Vergangenheit „in der Struktur des Haushaltskonsums über eine lange Zeit nichts an dem Anteil der Ausgaben für ,Grundgüter und Dienstleistungen‘, vor allem für Nahrungsmittel, geändert“.

Obwohl die Löhne und Gehälter in einigen Wirtschaftszweigen gestiegen sind, geben die Konzerne prozentual einen geringeren Anteil ihrer Gesamtkosten für Löhne aus. Ein Ökonom der Russischen Akademie der Wissenschaften erklärte gegenüber NG: „Der Anteil der Arbeitsentgelte an der Kostenstruktur der Unternehmen ist in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, sondern im Gegenteil gesunken: von 28 Prozent des Outputs im Jahr 2013 auf 22 Prozent im Jahr 2022... Dies lässt den Schluss zu, dass die Unternehmen, sagen wir, ihre Mitarbeiter für ihre Arbeit zunehmend unterbezahlen.“

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