In den frühen Morgenstunden des 22. Januar überfielen in Hessen mehr als 70 Einsatzkräfte des Landeskriminalamts und der Polizei die Wohnungen von neun angeblichen Mitgliedern der (aufgelösten) Vereinigung Palästina e.V. Sie beschlagnahmten Datenträger, schriftliche Unterlagen, Handys, Computer und SIM-Karten, die nun, wie es heißt, „ausgewertet“ werden.
Die Razzia ging vom Innenministerium der CDU-SPD-Regierung unter Boris Rhein in Wiesbaden aus. Wie Innenminister Roman Poseck (CDU) erklärte, sollte damit „ein klares Zeichen gegen Antisemitismus“ gesetzt werden. Allerdings geht es dabei um keine konkreten Vorwürfe, die wirkliche Straftaten, Angriffe oder Drohungen gegen Juden betreffen. Nichts davon wird den Mitgliedern vorgeworfen.
Das Innenministerium macht deutlich, dass es bereit ist, gegen jeden vorzugehen, der sich für Solidarität mit den Palästinensern einsetzt und gegen den Völkermord in Gaza protestiert. Je offensichtlicher das rechtsextreme Regime von Benjamin Netanjahu in Gaza – und inzwischen auch auf der Westbank – einen völkermörderischen Feldzug gegen die palästinensische Bevölkerung führt, desto rücksichtsloser gehen die deutschen Behörden gegen jede Kritik daran vor.
Innenminister Poseck warf dem Palästina-Verein vor, er verstoße „gegen den Gedanken der Völkerverständigung“, vertrete ein „antiisraelisches und antisemitisches Weltbild“ und verbreite „Israelhass und antisemitische Parolen“. Hinter der Solidarität mit Palästina verberge sich „tatsächlich Judenhass, den wir mit allen rechtstaatlichen Mitteln bekämpfen müssen“.
Er fügte hinzu, es beschäme ihn „zutiefst, dass Jüdinnen und Juden in unserem Land bedroht werden und sich nicht mehr sicher fühlen“, und implizierte damit indirekt, dass der Palästina-Verein in Deutschland lebende Juden angegriffen oder bedroht habe.
Nichts davon ist wahr. Der im Januar 2022 gegründete Verein bemühte sich um Verständigung zwischen in Hessen lebenden Palästinensern und Deutschen. Er trat mit Kundgebungen für die bedrängten Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland an die Öffentlichkeit und organisierte Kulturfeste – wie am 25. November letzten Jahres auf der Frankfurter Hauptwache, wo es palästinensische Spezialitäten zum Essen, daneben Musik und Theater sowie Kunsthandwerk, Ausstellungen und Literatur zum Thema gab.
Die Satzung des Vereins bekannte sich neben Solidarität „mit allen Formen des palästinensischen Widerstands“ auch explizit zum Kampf gegen Antisemitismus.
„Palästinasolidarität und der Kampf gegen Antisemitismus (Feindschaft gegen das Judentum) schließen einander nicht aus,“ heißt es darin. „Sie müssen zusammen gedacht/geführt werden. Wir wenden uns vehement gegen die Gleichsetzung von Zionismus und Judentum. Wir dulden weder antimuslimische, noch antipalästinensische, noch antisemitische (d.h. antijüdischer Rassismus), noch sonstige menschenverachtende Positionen und Haltungen.“
Die Zielpersonen der Haussuchungen arbeiten auch regelmäßig mit jüdischen Organisationen zusammen, wie zuletzt bei der Palästina-Konferenz in Frankfurt, die von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost aktiv unterstützt wurde.
Der Angriff auf den Palästina-Verein ist Bestandteil der wachsenden Unterdrückung jeglicher Opposition gegen Krieg und Sozialabbau. Das wird besonders deutlich, wenn das hessische Innenministerium unter Berufung auf den Verfassungsschutz erklärt, führenden Mitglieder des Palästina e.V. seien „dem linksextremistischen Arm des Antisemitismus zuzuordnen“, es bestünden „zahlreiche Verbindungen zu gleichgesinnten Vereinigungen, die im linksextremistischen Spektrum anzusiedeln sind“.
Unter Linksextremismus versteht der Verfassungsschutz, wie das es Bundesinnenministerium in einem Schriftsatz gegen die Sozialistische Gleichheitspartei formulierte, das „Streiten für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“, die „Agitation gegen angeblichen ‚Imperialismus’ und ‚Militarismus’“ und das „Denken in Klassenkategorien“.
Auch die Hetze gegen Migranten und Geflüchtete, die jetzt wieder den Bundestagswahlkampf dominiert, zielt auf die Unterdrückung der demokratischen Rechte der gesamten Arbeiterklasse. Die hessische Landesregierung hatte schon in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, welche Gefahr den Menschen droht, die jetzt von der Razzia betroffen sind.
Unter aktiver Mitwirkung von Nancy Faeser, der Bundesinnenministerin und früheren hessischen SPD-Vorsitzenden, wurden dort politische Richtlinien festgeschrieben, die über geltendes Recht hinweggehen und die im Grundgesetz festgehaltenen Meinungs- und Organisationsfreiheit verhöhnen.
Von Migranten wird verlangt, sich „zu integrieren“, wozu nach Ansicht von SPD und CDU nicht nur ein Bekenntnis zu den allgemeinen Werten des Grundgesetzes gehört, sondern auch die bedingungslose Anerkennung des Existenzrechts Israels.
Ein Abschnitt des Koalitionsvertrags trägt die Überschrift: „Wir bekräftigen die Garantie des Existenzrechts Israels als deutsche Staatsräson.“ Darin werden „antisemitische“ (gemeint sind israelkritische) Aktivitäten als Ablehnungsgrund für die deutsche Staatsbürgerschaft angeführt. Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit sollen die deutsche Staatsangehörigkeit sogar verlieren.
Seither ist die hessische Landesregierung immer wieder gegen pro-palästinensische Aktivitäten vorgegangen, zuletzt mit dem Rauswurf der international hochrangig besetzten Konferenz „Talking about (the Silencing of) Palestine“ aus der Goethe-Universität in Frankfurt.